Synagoge in Hagen: „Man kann von Glück reden, dass nichts passiert ist“

Synagoge in Hagen: „Man kann von Glück reden, dass nichts passiert ist“

Deutschland Synagoge in Hagen

„Man kann von Glück reden, dass nichts passiert ist“

Stand: 20:29 Uhr

16-Jähriger soll Sprengstoffanschlag auf Synagoge geplant haben

Ausgerechnet an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, gab es einen Hinweis auf eine extremistische Bedrohung für eine Synagoge im Ruhrgebiet. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an. Ein 16-jähriger Syrer und drei weitere Tatverdächtige wurden inzwischen festgenommen.

Ein 16-jähriger Syrer steht im Verdacht, einen Anschlag auf die Synagoge in Hagen vorbereitet zu haben. Nachbarn und Bekannte des Tatverdächtigen sind überrascht. Es ist nicht der erste antisemitische Vorfall in diesem Jahr in Hagen.

Vom Einsatz des SEK ist an der Wohnungstür am späten Nachmittag nicht mehr viel zu sehen. Lediglich etwas Farbe an der grauen Tür ist neben der Klinke abgeblättert. „Die Polizei ist gegen 9 Uhr mit einem Spezialeinsatzkommando gekommen“, sagt ein deutscher Nachbar. „Sie haben den Vater und weitere Personen mitgenommen.“ Vor der Wohnung in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen mehrere Paare Schuhe. Die Familie aus Syrien habe häufig Besuch gehabt.

Wegen eines vermuteten islamistischen Anschlags auf die Synagoge der Ruhrgebietsstadt Hagen am jüdischen Feiertag Jom Kippur hat die Polizei am Donnerstagmorgen einen 16-jährigen Syrer festgenommen, offenbar am nahen Bahnhof. Sein Vater und zwei Brüder wurden aus der Wohnung geholt und vernommen, gegen sie soll es aber keinen konkreten Tatverdacht geben. Im Fokus steht der 16-Jährige mit syrischer Staatsbürgerschaft, er soll Kontakt zu einem bekannten Islamisten im Ausland gehabt und sich mit Fragen des Bombenbaus beschäftigt haben, wie es aus Sicherheitskreisen hieß.

Synagoge in Hagen: „Man kann von Glück reden, dass nichts passiert ist“

Die Polizei hat einen 16-jährigen Syrer und drei Familienangehörige festgenommen. Ein Mann sitzt in einem Auto der Polizei

Quelle: dpa/Alex Talash

Am Mittwochabend war das Gebiet um die Synagoge an der Hagener Potthofstraße von der Polizei weiträumig abgeriegelt worden. Polizeibeamte mit Maschinenpistolen blockierten alle Zugänge, während Polizeihunde das Gelände der Synagoge nach Sprengstoff absuchten. Wer in dem Bereich lebte, musste sein Auto abstellen und wurde von Polizisten zu seiner Wohnung begleitet. Polizeiwagen rasten mit Blaulicht durch die Stadt. Hagens Oberbürgermeister Erik Olaf Schulz (Parteilos) war zu der Polizeisperre gekommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Vertreter der jüdischen Gemeinde in Hagen wollten sich zunächst nicht äußern.

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Am Donnerstagnachmittag war die Potthofstraße dann wieder befahrbar. Vor der Synagoge hatte die Polizei ein Zelt aufgebaut, Beamte sicherten das Gebäude. Doch von einem Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinde, die offenbar nur knapp einem Anschlag entgangen ist, war nichts zu sehen: keine Blumen, keine Israelfähnchen, keine Pappschilder mit Sätzen der Anteilnahme. Dabei war es in diesem Jahr schon einmal zu einem antisemitischen Zwischenfall gekommen. Im Mai hatte die Stadt Israelfahnen, die zum Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel am Rathaus hingen, aus Sorge entfernt, sie könnte während des damals aktuellen Militärkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern Hagener Muslime provozieren. Als ein junger Mann sich an den Folgetagen aus Protest mit seiner eigenen Israelfahne vor das Rathaus stellte, wurde er von Migranten beschimpft und bedroht.

Mit den Durchsuchungen und Festnahmen sei die Polizei einem sehr ernst zunehmenden und konkreten Hinweis nachgegangen, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag in Köln. „Konkret heißt übrigens: klare Tatzeit, Tatort und Täter waren benannt.“ Der Hinweis lasse auf eine „islamistisch motivierte Bedrohungslage“ schließen. Demnach hätte es während des Versöhnungsfestes zu einem Angriff auf das jüdische Gotteshaus kommen können. Die Durchsuchungen im Umfeld des 16-Jährigen brachten bislang keine Bombenbauteile ans Licht. Es seien aber elektronische Medien wie Handys und Speichermedien sichergestellt worden, die nun ausgewertet werden müssten, berichtete der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Die Behörde ermittelt wegen des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

„Wir sind in Hagen viel gewohnt, aber das hat mich überrascht“

In Hagen herrschte Donnerstagnachmittag Entsetzen und Ratlosigkeit. „Wir sind in Hagen viel gewohnt“, sagt ein junger Mann, der an der Bushaltestelle wartet. „Es gibt Massenschlägereien und Messerstechereien“, sagt der Auszubildende. „Aber dass so etwas wie mit der Synagoge hier passiert, das hat mich überrascht.“ Es gebe keine Neonazis in Hagen, Islamisten hätte er auch noch nicht erlebt. „Man kann von Glück reden, dass nichts passiert ist.“

Ein türkischer Geschäftsmann, der in seinem Gemüseladen Kunden bedient, kannte den 16-jährigen Verdächtigen. „Ich glaube das nicht, dass der etwas gemacht hat.“ Die Familie bestehe aus armen Syrern, Flüchtlingen. „Wenn Sie denen eine Pistole geben, werden sie auf niemanden schießen.“ Auch ein junges Mädchen, das weiter oben in dem fünfstöckigen Gebäude lebt, will nicht glauben, dass der 16-jährige Syrer einen Anschlag geplant haben könnte. „Vielleicht war es eine Verwechslung“, sagt die 15-Jährige. Wie der Verdächtige aus dem ersten Stock, stammt sie aus Syrien und lebt schon einige Jahre in Hagen.

In einem benachbarten islamischen Kulturzentrum zeigte man sich schockiert. „Mit unserem Verein hat das nichts zu tun“, betont ein Vertreter des Vorstandes. Man verurteile jegliche Gewalt, natürlich auch gegen jüdische Einrichtungen.

Ausländischer Geheimdienst informierte den BND

Nach Erkenntnissen der Behörden soll der Jugendliche in seiner Kommunikation im Internet Aussagen zu einem womöglich geplanten Anschlag gemacht haben. Ein ausländischer Geheimdienst hatte nach Informationen aus Sicherheitskreisen den Bundesnachrichtendienst (BND) vor einem mutmaßlichen Islamisten in Deutschland gewarnt. Zuletzt war unklar, ob gegen den verdächtigen 16-Jährigen ein Haftbefehl beantragt wird, seine Vernehmung dauerte noch an.

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Knapp eine Woche vor der Bundestagswahl zeigten sich Politiker entsetzt. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erklärte bei einem Wahlkampftermin im niedersächsischen Hittfeld, man sei jetzt dabei „aufzudecken, wie ernst dieser Anschlag war“. Erhöhte Sensibilität sei gegenüber allen Extremisten erforderlich. „In Halle waren es die Rechtsradikalen, die einen Anschlag verübt haben. Anderswo sind es Islamisten. Am dritten Ort haben wir Linksextremisten“, sagte der Kanzlerkandidat der Union. Alle Extreme müssten bekämpft werden. Laschet sprach sich für Abschiebungen von Terroristen aus.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb auf Twitter: „Es schmerzt, dass Jüdinnen und Juden in Hagen einer solchen Bedrohungslage ausgesetzt sind und Jom Kippur nicht gemeinsam feiern können. Es ist unsere Pflicht, alles zu ihrem Schutz zu tun und bei Gefahr sofort einzuschreiten.“

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, äußerte sich alarmiert. Die Bedrohung sei vielschichtig und komme „von verschiedenen Seiten“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

An Jom Kippur vor zwei Jahren hatte ein bewaffneter Rechtsextremist in Halle in Sachsen-Anhalt versucht, gewaltsam in die dortige Synagoge einzudringen. Als die Tür standhielt, erschoss er in der Nähe zwei Menschen und verletzte auf der Flucht zwei weitere.