Es klingt fast nach Dolchstoßlegende: Anton Baron, AfD-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, twittert über die Aussagen von Verkehrsminister Volker Wissing im Interview von Tagesspiegel Background: „FDP-Wähler: Verraten und verkauft“.
Nach Barons Auffassung ist Wissing der eigenen Partei in den Rücken gefallen. Er hatte gesagt: „Wir müssen die verschiedenen Energieträger dort einsetzen, wo sie am effizientesten sind. Das ist beim Pkw der E-Antrieb.“ E-Fuels werde man vor allem für den Flugverkehr brauchen. „Auf absehbare Zeit werden wir aber nicht genug E-Fuels haben, um die jetzt zugelassenen Pkw mit Verbrennungsmotor damit zu betreiben.“
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Damit schlägt Wissing einen anderen Kurs ein als sein Vorgänger Andreas Scheuer (CSU). Gleichzeitig setzt er sich von der Linie der eigenen Partei ab. Im Wahlprogramm der FDP hieß es: „Klimafreundliche synthetische Kraftstoffe sind eine bereits heute verfügbare Alternative für alle Verkehrsarten, die ohne technische Umrüstung in herkömmlichen Verbrennungsmotoren verwendet werden können.“ Einen entsprechenden Antrag hatten die Liberalen auch vor nicht einmal einem Jahr in den Bundestag eingebracht – damals noch in der Opposition.
CDU sieht „klaren Wortbruch“
Die heutige Oppositionspartei CDU hielt dem Verkehrsminister seinen Sinneswandel natürlich vor. „Was ist denn bei der FDP los?“, fragte Steffen Bilger auf Twitter. Der Schwabe, bis zum Regierungswechsel Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, fuhr fort: „Bislang immer Kämpfer für Technologieoffenheit, und selbst im Koalitionsvertrag steht noch ein Bekenntnis zu E-Fuels im Straßenverkehr. Neue Positionierung von Wissing ist enttäuschend und auch nicht sinnvoll!“
Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Bareiß (CDU), prangerte einen „klaren Wortbruch“ an. „Von der immer viel gepriesenen Technologieoffenheit im Bereich der Mobilität ist damit nicht mehr viel übrig. Das schadet dem Automobilstandort Deutschland, und das schadet dem Klimaschutz, denn auch die Bestandsflotte braucht eine CO2-freundliche Zukunft, sonst ist das hohe Klimaziel nicht zu schaffen.“
Überrascht und enttäuscht ist erwartungsgemäß auch die E-Fuels-Branche. Ralf Diemer, Geschäftsführer der eFuel Alliance, sagte Tagesspiegel Background, Wissings Aussage widerspreche nicht nur dem Wahlprogramm der FDP, sondern auch dem Koalitionsvertrag. Dort sei festgehalten, dass „Klimaneutralität spätestens 2045 technologieoffen“ erreicht werden solle. Gerade in Bezug auf Wasserstoff und E-Fuels stehe dort weiter: „Wir wollen den Einsatz von Wasserstoff nicht auf bestimmte Anwendungsfelder begrenzen.“ Und: „Wir setzen uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.“
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Auch Wissings Begründung sei „nicht nachvollziehbar“. Auf der einen Seite verweise er auf die bestehende EU-Regulierung – aber gerade diese werde derzeit in Brüssel überarbeitet und stehe noch nicht fest. „Herr Wissing könnte sich also gerade jetzt dafür einsetzen, dass alle Technologien fair anhand ihrer tatsächlichen CO2-Reduktion berücksichtigt werden.“
Auf der anderen Seite betone er, dass nicht genügend E-Fuels zur Verfügung stehen werden und diese daher der Luftfahrt vorbehalten sein müssten. Durch diese „künstliche Begrenzung“ auf wenige Sektoren werde der Markthochlauf verzögert und würden Investoren verunsichert. „So werden die übrigen Verbrenner – auch 2030 noch 30 Millionen Fahrzeuge in Deutschland – weiter mit fossilen Kraftstoffen fahren müssen.“
VDA-Präsidentin Müller: Weltweit 1,5 Milliarden Verbrenner
In die gleiche Richtung argumentierte Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA): „Selbstverständlich brauchen wir E-Fuels aus erneuerbaren Energien auch für den Straßenverkehr. Ohne E-Fuels können die Fahrzeuge, die schon im Betrieb sind, keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten“, sagte die frühere CDU-Politikerin Tagesspiegel Background.
„Europa und Deutschland dürfen keine Technologie ausschließen, die weltweit gebraucht wird, um die Klimaziele im Straßenverkehr zu erreichen.“ Es gebe weltweit rund 1,5 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Müller macht aber auch klar: „Davon unabhängig liegt der Fokus im Pkw-Bereich für die Autoindustrie klar auf der E-Mobilität.“
Ein besonderes Interesse an E-Fuels hat Porsche. Liebhaber des Sportwagens 911 wollen das Auto auch noch im Jahr 2040 fahren können. Deshalb investiert der Hersteller zusammen mit Partnern wie Siemens Energy in synthetische Kraftstoffe, die in Patagonien produziert werden sollen. „Wir sehen uns hier als Pioniere und wollen zeigen, dass diese Technologie gut funktioniert“, teilte Porsche auf Anfrage mit. „Über E-Fuels lassen sich in Zukunft historische Wagen, Bestandsfahrzeuge, aber auch die weiterentwickelten Verbrennermodelle nahezu CO2-neutral betreiben.“
Porsche legt aber auch Wert auf die Feststellung, dass 2021 knapp 40 Prozent seiner in Europa ausgelieferten Fahrzeuge elektrifiziert waren – also Plug-in-Hybride oder vollelektrisch; weltweit habe der Anteil knapp 25 Prozent betragen.
Die vielen Verbrenner im Pkw-Bestand weltweit führte auch der Automobilclub ADAC an. Der Autoexperte Stefan Bratzel twitterte dagegen: „Wohltuend klar und richtig, Wissing. Fokus der Aktivitäten beim Pkw auf E-Mobilität ist dringend notwendig. Wir haben auf oberer Ebene jetzt kein Erkenntnisproblem mehr.“
Umwelthilfe lobt Wissing und tadelt Habeck
Zuspruch bekam der Minister auch von Matthias Gastel, dem Bahnexperten der Grünen-Bundestagsfraktion, und von Jürgen Resch, dem Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Resch verwies darauf, dass ausgerechnet Robert Habeck, der Wirtschaftsminister von den Grünen, auch 2035 noch Verbrenner mit E-Fuels betanken wolle.
Der Leiter Verkehrspolitik beim Umweltverband BUND, Jens Hilgenberg, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Wissings klare Absage an E-Fuels im Pkw sei richtig: „Synthetische Kraftstoffe sind mit Blick auf Energieeffizienz, Preis und Verfügbarkeit jetzt und auch in Zukunft keine Option für den Pkw. Neben dem klaren Bekenntnis zum E-Auto braucht es jetzt Vorgaben zum Energie- und Ressourcenverbrauch bei Herstellung, Betrieb und Recycling neuer Fahrzeuge.“
Lob erhielt der FDP-Politiker zudem vom Koalitionspartner SPD. „Ich bin Minister Wissing dankbar für seine klaren Worte, hier setzen wir an“, sagte deren Verkehrsexpertin Dorothee Martin am Abend im Bundestag in der Debatte zur Verkehrspolitik der nächsten vier Jahre. Zugleich mahnte Martin eine deutliche Beschleunigung des Ladesäulenausbaus an. „Wir müssen 2000 neue Ladepunkte pro Woche schaffen“, sagte sie.
Förderprogramme werden überarbeitet
Um das zu erreichen, soll Wissing eine Direktive an die Führungskräfte seines Ministeriums herausgegeben haben, berichtet das „Handelsblatt“. Danach sollen alle Kräfte auf den Ausbau der E-Mobilität gebündelt werden. Die bisherigen Zulassungszahlen für E-Autos reichten zur Erfüllung der Klimaschutzziele nicht aus, sagte Wissing im Background-Interview. „Daher analysieren wir im Moment genau, warum das bestehende Angebot viele Bürgerinnen und Bürger noch nicht überzeugt.“
Mit Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) soll Wissing vereinbart haben, nicht auf die weitere Förderung von privaten Wallboxen zu setzen. Auch Wasserstofftankstellen für Pkw sollen nicht mehr gefördert werden, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters aus Regierungskreisen. Stattdessen will sich das Verkehrsministerium offenbar auf Schnellladestationen fokussieren.
Im Bundestag lobt Wissing plötzlich E-Fuels
Seine Abkehr von E-Fuels für Pkw, die sein Ministerium zunächst noch einmal per Tweet bekräftigte, relativierte Wissing hingegen im Bundestag. Offenbar war der Minister selbst überrascht, welchen Gegenwind seine Äußerungen im Tagesspiegel Background ausgelöst haben. Auch in Teilen der FDP war der Unmut am Donnerstag groß.
Die Elektromobilität im Pkw-Bereich sei für die Klimaschutzziele im Verkehr ein wichtiger Baustein. Gleiches gelte aber auch für strombasierte Kraftstoffe – nicht nur im Flugverkehr, auch im Schiffsverkehr, bei Nutzfahrzeugen und in den Pkw-Bestandsflotten, erklärte Wissing im Parlament. „Jeder Beitrag zur CO2-Reduktion ist wichtig.“ Mobilität müsse sich auch künftig „technologieoffen“ weiterentwickeln. Deswegen könne man nicht alles auf einen Antrieb umstellen.
Bei Umweltverbänden sorgte das für Enttäuschung. „Heute Morgen noch gelobt, rudert Wissing eben beim Auftritt im Bundestag in Sachen eFuels für Pkw schon wieder zurück“, schrieb Nabu-Verkehrsexperte Daniel Rieger bei Twitter. „Bedauerlich. Wäre ein starker Auftakt seiner Amtszeit gewesen.“