Genussmittel – Prävention als Geschäftsmodell

Kindersärge, Gammelzähne, ver­stümmelte Beine. Nur wenige Kunstbranchen sind so kreativ wie die Macher der Ekelbilder auf Zi­garettenpackungen. Diese sollen die Raucher überzeugen, ihre Sucht auf­zugeben. Doch das erreichen sie nicht. Einige haben sogar damit begonnen, die vielfältigen Motive zu sammeln und Alben anzulegen.

Aus einer Langzeitanalyse des Sta­tistischen Bundesamts geht gleichwohl hervor, dass die Menschen in Deutsch­land tatsächlich weniger rauchen. In den vergangenen 30 Jahren hat sich der Konsum versteuerter Zigaretten hal­biert. Mancher Konsument mag in den Schwarzmarkt abgewandert sein, aber der kann die Lücke von 75 Milliarden weniger verkauften Zigaretten im Jahr natürlich nicht abdecken. Zumal sich die Zahlen des Statistischen Bundes­amts mit den Erfahrungen decken, die viele in ihrem privaten Umfeld machen: Tatsächlich wird in Deutschland immer weniger geraucht.

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Wirken also all die Bilder von Kinder­särgen, Gammelzähnen und verstüm­melten Beinen? Nein. Etwas anderes lässt den Tabakkonsum zurückgehen: Geld. Steigen die Preise oder erhöht der Staat die Steuern, dann geht der Tabakkonsum zurück. Staatliche Prä­ventionsschritte wie Werbeverbote oder eben Ekelbilder wirken indes kaum. Als der Staat das Sponsoring von Zigaret­tenherstellern im Funk verboten hat, ging die Verbrauchskurve sogar zeit­weise nach oben.

Der Wirkung von Ekelbildern hat sich die Deutsche Apothekerzeitung vor vier Jahren ausführlich gewidmet. Das Ergebnis: Ekelbilder seien erfolgreich, denn sie hielten Nichtraucher vom Rau­chen ab. Aha. Eine sehr stabile Logik, mit der sich alles verkaufen lässt: Nach Erhöhung der Diäten im Bundestag sind Vegetarier nicht aufs Fleischessen umgestiegen – also verhindern höhe­re Diäten im Bundestag einen höheren Fleischkonsum.

Zu welcher kruden Logik die Zeitung greift, um die Ekelbilder zu rechtferti­gen, zeigt aber genau, wie die Präven­tionsspirale funktioniert: Wir entschei­den uns, Sucht zu bekämpfen. Also ist ein Mittel zur Suchtprävention gut, selbst wenn es nicht wirkt oder von negativen Nebeneffekten begleitet ist. Deswegen wird eine Präventionsmaß­nahme niemals zurückgenommen. Höchstens erweitert. Die Präventions­spirale lässt nur eine Richtung zu. Das gilt für Prävention generell, auch wenn es nicht um Sucht geht: Hat erstmal je­mand beschlossen, dass Deospray oder Rasierschaum im Flugzeug Terrorge­fahr bedeuten, darf so was nie wieder im Handgepäck mitgenommen werden.

Der Bereich Glücksspiel ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Präventions­spirale eskalieren kann. Ihr nämlich sehen sich die Verantwortlichen der deutschen Lottogesellschaften leidvoll ausgesetzt. Sie besitzen ein Monopol. Ein sehr einträgliches Monopol. So einträglich, dass auch andere an die­sen Fleischtopf drängen. Als Verteidi­gungslinie gegen private Anbieter dien­te staatlichen Lottogesellschaften stets die Suchtgefahr. Die könne der Staat besser eindämmen, so die Logik.

Mit dem Argument der Suchtpräven­tion haben sich die staatlichen Lottogesellschaften allerdings einen Bären­dienst erwiesen. Denn sie haben sich der Präventionslogik unterworfen. Und da sich das Präventionsbusiness so lan­ge von einer Sucht nährt, bis es diese nicht mehr gibt, müssen die Lotterie­gesellschaften jetzt folglich permanent nachbessern.

Auch Lottospiel gefährlich?

Der Wendepunkt liegt im Jahr 2008. Die Lottogesellschaften ließen sich per richterlichem Urteil ihre Funktion als Suchtverhinderer bestätigen. Doch seit­dem ist das Lottospiel in den Fokus der Präventionsindustrie geraten. Warnun­gen vor der Gefährlichkeit werden seit­dem lauter, Entwarnungen nicht mehr gehört. Gutachten sind er­wünscht, wenn sie das Suchtpotenzial des Glücksspiels dramatisieren. Entwarnen sie, werden sie zurückgehalten.

Wo der Weg endet, ist in der Automa­tenbranche zu beobachten: Vorschläge entwickeln, Regulierungen beschlie­ßen und überwachen sichert mittler­weile Dutzenden von Menschen den Broterwerb. So wurden Spielzeiten an den Automaten beschränkt, Alterskon­trollen etabliert, Spielzeiten weiter beschränkt, Identifikationsverfahren eingeführt und Spielzeiten noch wei­ter beschränkt. Das Ergebnis: Derzeit ändern die Länder ihre Staatsverträge und verlängern darin den Abstand, den Spielhallen von pädagogischen Einrich­tungen einhalten müssen, derart stark, dass es bald keine Spielhallen in Innen­städten mehr geben wird. Die Automatenaufsteller überlegen derweil, aufs digitale Glücksspiel umzusteigen. Das ist kaum reguliert. Noch nicht.

Umgekehrte Demokratie

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Es mit einer Regelung irgendwann gut sein lassen? Den Drang des Men­schen respektieren, sich vergnügen zu wollen, auch oder gerade wenn dies nicht dem Primat der Gesundheitsför­derung entspricht? Das liegt nicht im Wesen der Präventionsindustrie. All die damit beschäftigten Verwaltungsbe­amten, Pädagogen, Kursanbieter und Ordnungsämter rechtfertigen ihr Da­sein nur dann, wenn sie die Schraube immer weiter anziehen.

Zwei Faktoren befördern die Präven­tionsspirale. Zum einen ist Sicherheit eine sichere Nummer. Der Ruf nach Maßnahmen gegen den Terror wird im­mer auf Sympathien stoßen, ebenso wie der Kampf gegen Sucht. Der Hinweis, dass Maßnahmen zurückgenommen werden könnten, ist indes gefährlicher. Passiert dann irgendein Terroran­schlag, läuft man Gefahr, die Schuld daran zugewiesen zu bekommen. Und sei es, weil man nur dafür eingetreten ist, wieder Deospray und Rasierschaum im Handgepäck zuzulassen. „Verharm­loser“ ist ein politischer Kampfbegriff geworden. Niemand will sich diesem Vorwurf aussetzen – selbst wenn er die Rationalität auf seiner Seite hat.

Cannabis freigeben?

Damit wäre die Überleitung zu Can­nabis gelungen. Die politische Mehr­heit ist für die Freigabe, eine Mehrheit in der Bevölkerung ist entweder dafür oder hätte zumindest nichts dagegen, und es sprechen rationale Gründe für die Freigabe. Trotzdem bleibt es bei dem Verbot. Das ist also eine irrationale Entscheidung.

Das andauernde Cannabis­-Verbot ist vor allem vor dem Hintergrund ir­rational, dass Alkohol, Zigaretten oder Kaffee erlaubt sind. Logisch wäre es nur in einer puritanischen Gesellschaft, die jede Art von Suchtmittel verbietet. Doch das führt zu der Kernfrage: Wol­len wir eine Welt ohne Genussmittel, eine Welt, in der die Freizeit nur dazu dient, sich für die Arbeit fit zu halten?

Die Prävention ist zu einem Ge­schäftsfeld geworden, von dem sich viele ernähren: Wie groß es ist, lässt sich schwer berechnen – das Geld wird auf zu viele zu unterschiedliche Köpfe verteilt: der Gesundheitsberater, der bei der Krankenkasse angestellt ist und sich dort mit dem Kampf gegen das Rauchen beschäftigt, die Pädagogin, zu deren Kurs der Berater den Versicher­ten schickt, die Mitarbeiterin, die im Ministerium über die Wirksamkeit des Kurses entscheidet. Und letztlich auch der Besitzer der Agentur, die Ekelbilder herstellt. Sie alle stehen auf der Payroll der Präventionsindustrie.

FDP im Abwärtstrend

Die Ampelpolitik schrumpft die Liberalen

Das Bedürfnis, auf der sicheren Seite zu stehen, und eine Industrie, die von der Prävention lebt; beides befeuert die Präventionsspirale und macht es der Bundesregierung schwer, Cannabis zu legalisieren. Weil sich die Jugendorganisationen von SPD und Grünen kaum etwas sehnlicher wünschen – und die FDP das Thema gut gebrauchen könnte, um in Sachen Bürgerrechte mal wieder etwas Schminke aufzutragen, hatten nach der Bundestagswahl viele politische Beobachter mit der Legali­sierung gerechnet, werden aber wohl falsch liegen.
Die neue Bundesregierung zieht die Schrauben eher an. Ihr Suchtbeauftrag­ter Burkhard Blienert (SPD) hat jetzt ge­fordert, auch Bier und Wein nur noch an Erwachsene zu verkaufen. Die Präventi­onspolitik kennt nur eine Richtung.

Rationalität aufseiten der Liberalen

Dabei ist die Rationalität aufseiten der Legalisierung von Cannabis: Wie beim Rauchen gibt es ein Grundbedürfnis, und es ist nicht einzusehen, warum ein Staat dieses seinen Bürgern grundsätz­lich verwehren sollte. Zumal sich der Konsum von Cannabis genauso staat­lich steuern ließe wie der von Tabak – beziehungsweise besteuern. Letzteres ist ein ertragreiches Geschäft: 14 Mil­liarden Euro fließen jährlich in den Steuersäckel. Mit Cannabis könnte der Staat ähnliche Größenordnungen erzielen.

Die Legalisierung würde auch den Schwarzmarkt austrocknen. Von Ver­boten profitieren Kriminelle nämlich mehrfach: Das Verbot macht die Ware selten. Geringes Angebot bei konstant hoher Nachfrage sorgt für höhere Prei­se. Wegen der Kriminalisierung sind Abnehmer der Willkür der Anbieter ausgesetzt. Und nicht zuletzt zahlen die Anbieter auch keine Steuern. Diese Lose-­Lose­-Situation würde eine Legalisierung von Cannabis weit­gehend aufheben. Auch Suchtkranke kämen durch die Legalisierung leichter zu Hilfen. Menschen, die den Verbrauch kontrollieren können, könnten ihrem Recht auf Genuss nachgehen.

Die Sucht ist ein Problem. Generell. Das darf auch nicht negiert werden. Es braucht daher auch die Prävention. Doch Wege, die nur eine Richtung ken­nen, taugen nichts. Sie führen immer irgendwann in eine Sackgasse, in der es nicht mehr weitergeht – in diesem Fall zu einer Gesellschaft der entmündigten Bürger. Das souveräne Individuum, das seinen Genuss im Griff hat, muss auch das Recht haben, diese Genussmittel zu konsumieren. Nur der kranke Mensch braucht die Hilfe der anderen.

Fern jeder Wirklichkeit

Ruinen schaffen ohne Waffen – die Regierungs-Kunst der Ampel

Die Legalisierung von Cannabis könnte da ein Anfang sein. Sie hat das Zeug zu einem Gamechanger: weg vom Staat, der sich immer stärker in das Le­ben seiner Bürger einmischt – zurück zur rationellen Abwägung von Risiken und Vorteilen. Die Präventionsindustrie wirkt also letztlich wie ein Sumpf. Der hat seine Funktion im Ökosystem, aber wenn man sich ihm ausliefert, kann man sich ihm nicht mehr entziehen, versinkt irgendwann in ihm. Das erfahren die Berliner Ampelkoalitionäre nun am eigenen Leib: SPD und Grüne würden Cannabis gern legalisieren. Das versprechen sie ihren Nachwuchsorga­nisationen wie ein Vater seinem Kind ein Fahrrad zu Weihnachten. Nur dass es unter diesem Baum seit Jahren leer bleibt. Bisher stand die CDU/CSU dem Vorhaben im Weg und diente den anderen als Ausrede. Die fällt für die Regierung der Linken und Liberalen nun weg.

Warum Alkohol und Tabak erlaubt, Cannabis aber verboten ist, lässt sich medizinisch nicht rechtfertigen. Auch nicht mit dem Suchthinweis. Alkohol und Tabak indes zu verbieten, fällt ge­nauso schwer wie Cannabis zu legali­sieren. Deutschland ist in den Status quo verliebt. Egal in welchen. Nur ist „Weil’s immer so war“ ein schwaches Argument für eine Koalition, die den Anspruch hat, die Zukunft zu gestalten. Zumal bei einem Punkt, bei dem der eigene Nachwuchs drängelt.

„Liberale“ Steuereinnahmen

In Sachen Cannabis könnte die Ampel vom Tabak lernen: Sucht in kontrol­liertem Maß zulassen, zusätzliche Ein­nahmen erzielen und den Verbrauch reduzieren – dies alles lässt sich durch­aus miteinander verbinden. Da die Steuereinnahmen auf Cannabis zusätz­lich in den Haushalt gespült würden, könnte sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Traum erfüllen: mehr Steuern einnehmen und trotzdem liberal sein.

Doch für den großen Wurf ist es wohl noch zu früh: Noch kommt der Canna­bis-Konsum nicht aus der Präventions­spirale heraus. Auf den Tabak und auf das Glücksspiel konnte die Präventions­industrie immer stärker zugreifen, ohne mit sich selbst im Widerspruch zu stehen. Im Gegenteil. Was Cannabis betrifft, müsste aber erst einmal die Suchtgefahr negiert werden, bevor sie sich wieder etablieren lässt. Allmählich. Das zu kommunizieren dürfte schwer­ fallen – und letztlich unmöglich sein.

Beim Thema Genuss und Selbstbe­stimmung ist der Staat handlungsun­fähig. Er hat sich auf die Präventions­spirale eingelassen, und die lässt kein Zurück zu. Sie sucht sich derweil neue Felder. Die „toxische Männlichkeit“ haben Präventivpädagogen bereits als Geschäftsfeld entdeckt: Männer töten Frauen, weil sie Männer sind, lautet die Logik verkürzt. Also muss die Männ­lichkeit zurückgefahren werden. Lang­sam. Schrittweise. Ein Geschäft, das sich zu schnell erledigen ließe, ist nicht ertragreich. Und vom Präventions­geschäft leben schließlich viele.

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