SPORT BILD: Herr Mäurer, seit 1. Juli 2021 ist der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Laut Deutschem Sportwetten-Verband bieten rund 240 Unternehmen Sportwetten auch in Deutschland an – aber nur 33 Buchmacher verfügen aktuell über eine bundesweite Lizenz. Muss der Staat rigoroser gegen den Schwarzmarkt vorgehen?
Ulrich Mäurer (70): Ich betrachte das ganze Thema aus einem anderen Blickwinkel: Welche gesellschaftlichen Folgen haben Sportwetten generell? Aus Sicht der Betroffenen ist es egal, ob ihnen ein Schaden entsteht, weil sie sich an legalen oder an illegalen Sportwetten beteiligen. Sportwetten verursachen ähnliche gesellschaftliche Probleme wie Alkohol oder Drogen. Deshalb bin ich grundsätzlich gegen Werbung für Sportwetten.
Geht von den illegalen Anbietern eine besonders große Spielsucht-Gefahr aus, weil der Zocker unbegrenzt Geld einsetzen kann, auch auf Live-Wetten im Minuten-Takt, und hier die höheren Gewinne locken?
Die Frage, ob es sich um einen legalen oder illegalen Anbieter handelt, ist zwar strafrechtlich von Bedeutung. Aber dadurch, dass laut Staatsvertrag nur lizenzierte Unternehmen werben dürfen, verbessert sich die Situation nicht entscheidend. Es gibt nach neuesten Studien rund 1,3 Millionen spielsüchtige Menschen und über drei Millionen Spielende, die auf der Kippe stehen. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte geht nicht in die Richtung, dass Werbung für Sportwetten eingedämmt wird, wie es bei der Tabak-Werbung der Fall ist. Im Gegenteil: Der Sportwetten-Bereich expandiert wie verrückt. Die Werbebanden in den Stadien der Bundesliga und 2. Liga sind zugepflastert mit Sportwetten-Werbung. Das kostet die Unternehmen viele Millionen Euro, bei solchen Ausgaben geht es ihnen nicht primär darum, die Zocker weg vom Schwarzmarkt zu kanalisieren.
Sondern?
Massive Werbung ist DAS Vehikel, um neue Kunden unter den Nichtspielern zu werben, vornehmlich junge, sportaffine, fußballinteressierte Männer, denen man suggeriert, Wetten gehöre einfach zum Fußballspiel dazu. Und die heimliche Botschaft dahinter lautet: Wenn ihr euch mit Fußball auskennt, dann könnt ihr auch wetten. Die sozialen Auswirkungen davon sind erheblich. Denn betroffen ist meistens nicht der Zocker alleine, oft wird die ganze Familie ruiniert. In anderen europäischen Ländern wie Spanien und Italien ist Werbung für Sportwetten deswegen bereits untersagt.
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Quelle: BILD / Sportdigital
Der Glücksspielstaatsvertrag erlaubt Werbung ausdrücklich, weil legale Buchmacher so für den Bürger identifizierbar seien.
Ich habe ein Problem mit dem Glücksspielstaatsvertrag an sich. Er ist nur ein Kompromiss. Lange Zeit gab es keine geschlossene Front der 16 Bundesländer. Schleswig-Holstein ist damals als erstes Land ausgeschert und hat eigene Lizenzen vergeben. Es gibt im Staatsvertrag zwar ein paar kleine Verbesserungen im Bereich des Spielerschutzes, aber es wäre hilfreicher gewesen, den Wettanbietern klare Grenzen aufzuzeigen, auch beim Thema Werbung. Außerdem: Die meisten der Unternehmen, die eine Lizenz besitzen, negieren weitestgehend die Vorschriften.
Zum Beispiel?
Das betrifft etwa das monatliche Einzahlungslimit für die Spieler (1000 Euro; d. Red.). Die Anbieter müssen sich an LUGAS (Länderübergreifendes Glücksspiel-Aufsichtssystem; d. Red), also an ein zentrales Kontrollsystem anschließen. Von über 30 lizenzierten Sportwetten-Anbietern haben das aber nur zwei getan. Stattdessen wird gegen diese zentralen Spielerschutz-Bestimmungen vor Gericht auch noch geklagt.
Auf der Innenministerkonferenz sind Sie mit Ihrem Vorhaben eines Werbeverbots gescheitert. Ist das Thema damit für Sie erledigt?
Keineswegs, das wird ein langwieriger Kampf, für den man sehr viel Ausdauer braucht. Ich werde das Thema weiter vorantreiben und glaube auch, dass wir Unterstützung bekommen vom neuen Drogenbeauftragten der Bundesregierung (Burkhard Blienert; d. Red.), der unsere Einschätzung teilt. Wir stehen vor großen Herausforderungen, und die Zeit drängt: Wenn wir erst mal ein paar Millionen Spielsüchtige in Deutschland haben, ist es zu spät.
Taugen die Niederlande als Vorbild für Deutschland im Kampf gegen den Schwarzmarkt? Nach einer Überprüfung durch die Behörden hat der Großteil der rund 150 Anbieter ohne Lizenz aus Angst vor Strafverfolgung Maßnahmen ergriffen, die verhindern sollen, dass niederländische Zocker ihre Angebote weiter nutzen können.
Ich bin ein großer Anhänger eines rigorosen Vorgehens. Ab Juli dieses Jahres ist die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) mit Sitz in Sachsen-Anhalt zuständig, und ich erhoffe mir von dort ein deutlich konsequenteres Vorgehen gegen den illegalen Markt als bisher. Bislang war ein konsequentes staatliches Durchgreifen leider die Ausnahme.
Woran liegt das?
Die Rechtslage bei uns ist eindeutig: Die unerlaubte Veranstaltung von Glücksspiel ist eine Straftat. Aber im Vollzug gab es immer wieder Probleme. Wir wurden in den vergangenen Jahren Zeugen von einer Unzahl von Gerichtsverfahren der Wettanbieter durch alle Instanzen. Die Anbieter haben diese Möglichkeiten gnadenlos ausgenutzt. Hinzu kam, dass es jahrzehntelang kein einheitliches Vorgehen der Bundesländer gegeben hat und einige Bundesländer diese Praxis lange geduldet haben. Die einzelnen Länder tragen somit einen Großteil der Schuld an dieser fatalen Entwicklung. Ich hoffe sehr, dass es die GGL nun besser machen wird.
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Die legalen Anbieter in Deutschland halten ein strengeres Vorgehen gegen den Schwarzmarkt für aussichtslos, da das Internet immer Möglichkeiten biete, bei illegalen Buchmachern auf der ganzen Welt zu wetten. Sie fordern stattdessen Chancengleichheit, etwa in Bezug auf die Höhe der Wetteinsätze und die Live-Wetten, um das eigene Angebot attraktiver zu machen. Ist das tatsächlich der erfolgversprechendere Weg?
Gleichstellung in diesen Fragen ist keine Lösung des Spielsucht-Problems. Im Gegenteil: Die illegalen Anbieter werden immer einen draufsetzen, und so kommt eine unheilvolle Spirale in Gang.
Transparenzhinweis: BILD hat eine strategische Markenkooperation mit dem Sportwetten-Anbieter BetVictor bezüglich des Sportwetten-Angebots „BildBet“.