Der US-Traum vom CO2-Staubsauger fürs Klima

Der US-Traum vom CO2-Staubsauger fürs Klima

New York Für Exxon-Chef Darren Woods ist es der „Heilige Gral“, für Warren Buffett ein vielversprechendes Investment, für Bill Gates eine Chance, das Klima zu retten – und US-Präsident Joe Biden hilft mit großzügigen Steuervergünstigungen. Der Enthusiasmus gilt „Direct Air Capture“ (DAC) – einer Technologie, die Kohlendioxid aus der Luft filtert, sicher speichert oder in synthetischen Treibstoff wandelt. Es ist eine Art CO2-Staubsauger für die Atmosphäre.

Und der soll ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel werden. Die größte DAC-Anlage der Welt entsteht derzeit im texanischen Ector County, direkt über den riesigen Ölfeldern des Permian-Beckens.

Dort baut der Ölkonzern Occidental mit dem kanadischen Start-up Carbon Engineering im Joint Venture „1Point Five“. Die Anlage soll 2024 ihren Betrieb aufnehmen. Riesige Ventilatoren sollen jährlich eine halbe Million Tonnen CO2 aus der Luft filtern. Bis 2035 sind 70 solcher Anlagen geplant.

In Deutschland war Direct Air Capture lange kein Thema. Jetzt denkt die Bundesregierung um, das Wirtschaftsministerium arbeitet an einer Förderung. In anderen Ländern gilt die Technologie schon länger als unverzichtbar, um die Erderwärmung zu bremsen.

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In den USA geht es entschlossen zur Sache. Occidental darf nicht nur CO2-Zertifikate verkaufen, sondern mit dem Gas auch Öl und Erdgas aus dem Schieferstein pressen – Fracking. Starinvestor Buffett hat diese Strategie so überzeugt, dass er sich 20 Prozent an Occidental-Aktien gesichert hat. Zu den Investoren von Carbon Engineering gehört Bill Gates ebenso wie der Ölkonzern Chevron.

Das Verfahren hat Vorzüge: Die Technologie filtert das Treibhausgas nicht direkt an den Emissionsquellen heraus, sie kann überall eingesetzt werden. Zudem kann das CO2 neben der Einlagerung und Nutzung als Rohstoff in Zement oder Plastik auch zu Treibstoff verarbeitet werden.

Der US-Traum vom CO2-Staubsauger fürs Klima

Doch es gibt Kritik am Verfahren der CO2-Absonderung und -Speicherung, egal ob aus der Atmosphäre oder an Industrieschloten. „Es rechnet sich einfach nicht. Es ist lächerlich“, sagt etwa der Energieexperte und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin über die Speicherung von CO2 dem Handelsblatt. „Die EU hat in der Vergangenheit viel Geld investiert, um das zu erforschen, und es hat nichts gebracht.“ Man solle lieber andere Wege gehen, um die Erderwärmung zu bremsen.

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Anders sieht das Jonathan Elkind vom Center for Energy Policy an der renommierten Columbia-Universität. „Es gibt keinen Zweifel, dass man CO2 speichern kann, und ich glaube, wir müssen jedes Werkzeug nutzen, um das Kohlendioxid in der Atmosphäre zu senken“, sagt er. „Wir haben keine Zeit mehr für Diskussionen, ob das moralisch vertretbar ist, wenn jene, die die Emissionen verursacht haben, sie jetzt auch speichern dürfen.“

Den hohen Kostenfaktor von Direct Air Capture berücksichtigt auch Elkind. „Andererseits ist der Preis relativ, wenn die Alternative Erderwärmung, Ernteeinbußen und Massenimmigration sind“, ordnet er ein.

Das Treibhausgas hilft beim Fracking

Für die neue Anlage investiert Occidental eine Milliarde Dollar. Die Technologie für das Aufsaugen hat Carbon Engineering in 13 Jahren Forschungsarbeit entwickelt. In der Anlage ziehen Ventilatoren mit einem Durchmesser von 8,5 Metern Luft an, die durch eine Plastikstruktur mit Kaliumhydroxid-Lösung gezogen wird. Die bindet das CO2, das mithilfe von chemischen Prozessen in konzentrierter Form in kleine Pellets gepresst wird. Durch Erhitzung kann das CO2 wieder als Rohstoff abgegeben werden.

Warren Buffett

Die Investorenlegende kaufte ein Fünftel von Occidental, auch weil ihn das Zukunftskonzept des amerikanischen Ölkonzerns überzeugte: mit 70 Anlagen bis 2035 riesige Mengen an CO2 aus der Luft zu holen und bei der Ölförderung einzusetzen.

(Foto: AP)

500.000 Tonnen CO2 pro Jahr kann die Anlage nach Fertigstellung filtern, bei Bedarf ermöglicht ein Ausbau sogar die doppelte Leistung. Das Werk liegt im US-Bundesstaat Texas, wo Occidental bereits CO2 nutzt, um Öl aus dem Schiefergestein herauszupressen.

Das meiste CO2 soll aber gespeichert werden. Für Occidental und dessen Vorstandsvorsitzende Vicky Hollub ist die neue Direct-Air-Capture-Anlage Teil der langfristigen Strategie, aus dem Ölkonzern ein Unternehmen für CO2-Management zu machen.

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Auch Exxon-CEO Darren Woods glaubt an die Technologie: „Direct Air Capture wäre der Heilige Gral, die Möglichkeit, CO2 direkt aus der Atmosphäre herauszunehmen“, erklärte er im Sommer im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Woods teilt die Kritik, die Technologie sei noch zu teuer. Aber könnte man die Kosten senken, wäre das Verfahren nach Ansicht des Exxon-Chefs auch aus Sicht der Ölindustrie ideal: „Wenn man das skalieren könnte, dann müssten wir nicht einen ganzen Industriekomplex ändern, ein ganzes Energiesystem.“

Unvermeidliche Emissionen speichern

Einfach CO2 absaugen und den Rest unseres Energie- und Wirtschaftssystems so lassen, wie es ist? „Da hat Woods nicht richtig gerechnet“, sagt der CEO des Start-ups Carbon Engineering, Daniel Friedmann. Direct Air Capture könne nur Teil der Lösung sein, um das Klima zu retten. „Wir müssen unser Energiesystem weltweit auf saubere Energie umstellen“, stellt er klar. „Was dann noch übrig bleibt und nicht entkarbonisiert werden kann, das wollen wir mit Direct Air Capture aus der Luft filtern.“

Illustration vom neuen CO2-Werk

Riesige Ventilatoren ziehen die Luft an, aus der mit der Filtertechnologie von Start-up Carbon Engineering CO2 geholt wird. Das Werk von US-Ölkonzern Occidental im Süden von Texas soll 2024 in Betrieb gehen und jährlich bis zu 500.000 Tonnen CO2 produzieren.

Derzeit würden rund 50 Milliarden Tonnen CO2 Emissionen jährlich produziert, 40 Milliarden Tonnen davon könne man durch saubere Energien einsparen. Aber zehn Milliarden Tonnen blieben übrig, rechnet Friedmann vor. Um die gehe es. „Und natürlich um die Emissionen, die bereits heute in der Atmosphäre sind. Das ist ja das Faszinierende an dieser Technologie“, schwärmt er. Man könne die Erblasten entfernen.

Derzeit kostet es laut Carbon Engineering 400 bis 500 Dollar, eine Tonne CO2 aus der Luft zu filtern. Ziel ist es, den Preis langfristig auf 100 Dollar zu senken. Eine Hilfe ist etwa die Förderung der neuen Technologie in den USA: Die Biden-Regierung schießt pro Tonne 180 Dollar in Form von Steuererleichterungen zu.

Das Geschäftsmodell von DAC-Anbietern wie 1Point Five basiert darauf, dass es in Zukunft einen funktionierenden Emissionshandel gibt und Unternehmen CO2-Zetifikate kaufen. Airbus hat dies laut 1Point Five bereits getan und sich CO2-Zertifikate für 400.000 abgesaugte Tonnen gesichert. Diese Zertifikate könnte der Hersteller dann auch an Fluggesellschaften wie Lufthansa weiterverkaufen. Zu den Abnehmern von 1Point Five gehören laut Unternehmen auch Shopify und Thermo Fisher Scientific.

CO2 speichern ist laut Geologen sicher

In Deutschland gibt es viele Befürchtungen, dass das gespeicherte CO2 wieder entweichen kann oder es, ähnlich wie beim Fracking, zu Erdbeben kommen kann.

Mit diesen Themen beschäftigt sich auch Scott Quillinan von der University of Wyoming. Er forscht seit 2008 schwerpunktmäßig daran, welche geologischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, um Kohlendioxid sicher zu speichern. Die Universität arbeitet dabei auch mit Partnern in Großbritannien und der Schweiz zusammen. In Wyoming arbeitet Quillinan im Zuge des „Carbon Safe“-Projekts daran, ein altes Kohlekraftwerk dank der CO2-Speicherung emissionsfrei zu machen.

Carbon Engineering

In dem Auszug aus einer Patentanmeldung von 2015 zeigt das kanadische Start-up, wie es mit einer Platte und „bestimmten Flüssigkeiten“ das CO2 aus der Luft holt, die mit Ventilatoren herangeführt wird.

Der Geologe erklärt, dass das CO2 nicht etwa in irgendwelchen unterirdischen Kavernen gespeichert wird, sondern in kleinen Zwischenräumen porösen Gesteins. „Man muss sich das vorstellen, als gießt man eine Flüssigkeit in ein Glas mit Murmeln“, erklärt Quillinan.

Das CO2 wird verflüssigt eingeleitet und verdrängt in der Regel Salzwasser. Solange CO2 in mehr als einem Kilometer Tiefe gespeichert werde, bleibe es flüssig und könne nicht einfach entweichen, versichert der Geologe. Über die Jahre könne sich das CO2 zudem mineralisieren und aushärten.

„Es ist wichtig, dass es nur dort gespeichert wird, wo es auch eine harte, nicht poröse Steinschicht gibt, die das Austreten wie ein Deckel verhindert“, erklärt Quillinan. Diese geologischen Formationen sind besonders dort zu finden, wo vorher Erdgas oder Öl gefördert worden sind.

Die Angst vor Erdbeben nimmt Quillinan ernst. „Aber die Gefahr besteht nur, wenn man das CO2 zu schnell hineinpresst“, erklärt er. Im Gegensatz zum Fracking werde bei der CO2-Speicherung das Gestein nicht zerstört. „Fracking nutzt kleine Partikel, das tun wir nicht, weil wir nach bereits porösen Gesteinen suchen.“ Und sagt: „Ich sehe nicht, wie die Dekarbonisierung der Welt ohne die CO2-Speicherung funktionieren soll.“

„Die Emissionen sind ohnehin in drei Tagen überall auf der Welt“

Carbon-Engineering-CEO Friedmann lobt vor allem die Flexibilität des DAC: „Nehmen Sie zum Beispiel Volkswagen“, sagt er. Ein Autohersteller wie VW müsste die Anlage nicht neben seine Fabriken stellen. „Die Emissionen sind ohnehin in drei Tagen überall auf der Welt. Wir können die Anlagen einfach dort bauen, wo es viel Land, den richtigen Boden und günstige Preise gibt“, erklärt Friedmann. VW könnte dann CO2-Zertifikate erwerben.

Occidental

Schon lange nutzt der amerikanische Öl- und Erdgaskonzern CO2, um damit Öl aus der Erde zu pressen, wie hier bei der Förderung in New Mexiko. Jetzt will das Unternehmen das CO2 aus der Luft abfangen und bei der Förderung einsetzen.

(Foto: Reuters)

Der Europachefin von Carbon Engineering, Amy Ruddock, fällt auf, dass die Deutschen bei der gesamten Thematik besonders kritisch sind. „Die Diskussion über die Speicherung wird vor allem in Deutschland geführt.“ In Großbritannien oder auch Norwegen stehe man dem viel offener gegenüber.

Dort baut das Unternehmen derzeit zwei Anlagen, die Ende des Jahrzehnts den Betrieb aufnehmen sollen. „Deutschland könnte eine viel größere Rolle in der gesamten Wertschöpfungskette von Direct Air Capture spielen“, sagt Ruddock. Aber dafür müsse erst einmal die Akzeptanz wachsen.

Technologie lohnt sich in der Produktion, etwa in der Chemie

Nach Ansicht von Natalia Luna, der Analystin für Responsible Investing bei Columbia Threadneedle Investments, wird die politische Unterstützung für CO2-Abscheidung und -Speicherung weiter zunehmen. Sie glaubt, dass sich der Einsatz der Technologie bald dank der Forschung, des steigenden CO2-Preises und Steuererleichterungen für die Emissionsreduzierung rechnen wird.

„Bei der Produktion von Wasserstoff, Zement oder in der Chemieproduktion lässt sich eine Tonne CO2 bereits für 50 bis 70 US-Dollar neutralisieren“, rechnet sie vor. „Damit liegen die Kosten bereits unterhalb des Preises für eine Tonne CO2-Emissionen in der EU.“ Außerdem ließen sich beim Einsatz der Technologie erhebliche Skaleneffekte bei Transport und Speicherung erzielen, ist die Investmentexpertin überzeugt.

Die Wirtschaftlichkeit von Direct Air Capture steigt aber auch mit dem Grad der CO2-Konzentration in der Luft. Und da spielt es dann doch eine Rolle, ob die Anlagen direkt neben Fabrikschloten stehen oder weit außerhalb der Ballungsgebiete. Eine immer wichtigere Rolle im Kampf gegen die Erderwärmung vermag die Technologie dennoch zu übernehmen.

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