Wirtschaftsexperten sehen den Verkauf der Klimasparte an eine US-Firma gelassen. Und doch fordern sie, in Deutschland und Europa an den Rahmenbedingungen für Unternehmen zu arbeiten.
In normalen Zeiten wäre die Nachricht höchstens etwas für besonders Interessierte gewesen. Ein deutsches Unternehmen verkauft eine einzelne Sparte an einen amerikanischen Konkurrenten. Doch normal ist schon längst nichts mehr, seit Gas-Knappheit und Klimawandel für einen politischen Prozess gesorgt haben, der mit “Heizwende” eher harmlos überschrieben ist. Millionen deutscher Haushalte sollen in den kommenden Jahren ihre Gas- und Ölheizungen möglichst gegen Wärmepumpen austauschen. Das hat den Markt in Wallung versetzt. Viessmann, eines der Vorzeige-Unternehmen in Sachen Heiztechnik, will sich von seiner Klimasparte trennen und hat in der Firma Carrier einen Käufer gefunden.
Was für die Verbraucherinnen und Verbraucher sinkende Preise für Wärmepumpen bedeuten könnte, hat in der Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen, ob die Politik jene Unternehmen stützen und regeln müsste, die Schlüsseltechnologien herstellen. Experten hingegen mahnen zur nüchternen Betrachtung. “Wir müssen einfach realisieren, dass viele wichtige Zukunftsmärkte nicht national sind, sondern global sind”, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Deutschland sei ein kleines Land und eine kleine Volkswirtschaft. Wenn Unternehmen in Deutschland dauerhaft global bestehen wollten, müssten sie häufig Partnerschaften mit anderen Unternehmen eingehen.
Unternehmen ist wertvoller, solange andere noch keine Vertriebskanäle haben
Auch die “Wirtschaftsweise” Veronika Grimm warnt vor zu großer Aufregung. “Dass nach Prüfung von verschiedenen Optionen die Wahl auf ein Unternehmen fällt, das große Expertise im Bereich der Klimaanlagen hat und zugleich in den USA sitzt, überrascht nicht”, sagt die Ökonomin unserer Redaktion. So könne Viessmann die Produktion ausbauen und dürfte gleichzeitig zukünftig von Subventionen aus dem sogenannten “Inflation Reduction Act” der Amerikaner profitieren, jenem Gesetz, mit dem US-Präsident Joe Biden Firmen in den USA finanziell unterstützt, die grüne Technik produzieren.
“Die Bedingungen, die Viessmann ausgehandelt hat, sind offenbar attraktiv”, sagt Grimm. So gebe es keine Kündigungen und der Standort bleibe erhalten. Außerdem wird Viessmann der größte private Minderheitsaktionär bei Carrier Global und erhält einen Sitz im Verwaltungsrat. “Hätte man mit dem Verkauf länger gewartet, wäre vermutlich der Wert des Unternehmens gesunken”, sagt Grimm. Die Gründe: “Die Preise für Wärmepumpen dürften mit dem Markthochlauf sinken und auch das Vertriebsnetzwerk von Viessmann ist natürlich wertvoller, solange andere Unternehmen noch keine eigenen Vertriebskanäle in Deutschland aufgebaut haben.” Natürlich könne man sich fragen, warum das Unternehmen nicht in Deutschland an die Börse gegangen ist. “Dies dürfte unter anderem daran liegen, dass ein Börsengang zu lange gedauert hätte”, vermutet die Expertin.
Grimm: Firmen brauchen berechenbare Rahmenbedingungen
Und doch sieht die “Wirtschaftsweise” einen klaren Auftrag an die Politik: “Es wäre schon wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Unternehmen in Deutschland Technologie entwickeln und die Produktion auch hier skalieren”, sagt sie. Dafür brauche es berechenbare und attraktive Rahmenbedingungen. “Mit Verboten zu agieren, die eventuell zukünftige Regierungen wieder aufheben oder abändern, ist eine riskante Strategie”, warnt Grimm. “Das kann dazu führen, dass in Deutschland weniger investiert wird.” Die Firma Viessmann etwa habe große Kompetenzen im Bereich von Gasheizungen. “Hier hat die Politik zuletzt Wege versperrt”, sagt die Volkswirtin. Es sei zwar richtig, dass Wärmepumpen perspektivisch den Großteil der Wärmelösungen ausmachen sollten, aber aus ihrer Sicht hätte eine Nische im Bereich der gasbasierten Wärmeversorgung ermöglicht werden sollen. “Die regulatorische Unsicherheit dürfte im Zusammenhang mit dem Verkauf eine Rolle gespielt haben, aber wahrscheinlich nicht der entscheidende Faktor gewesen sein”, glaubt Grimm.
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Foto: Hannes P Albert, dpa
Auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, gibt der Politik den Rat, dass Europa mit Blick auf die Zukunftsmärkte wettbewerbsfähiger werden müsse. China und Amerika würden von den großen Kostenvorteilen auf ihren eigenen Binnenmärkten profitieren. “Die Strategie für uns Europäer muss deshalb sein: mehr Binnenmarkt wagen! Statt 80 Millionen Einwohnern 440 Millionen”, forderte Russwurm. “Der Markt muss so groß sein, dass echte Skaleneffekte möglich sind, und aus heimischen Innovationen schneller große Stückzahlen werden.” Skaleneffekte sind Kostenvorteile durch eine Massenproduktion. Sie bezeichnen Größenvorteile, wodurch die in Unternehmen für ein Produkt anfallenden Kosten mit steigender Produktionsmenge sinken.
Russwurm sagte weiter, allzu oft würden Unternehmen beim Wachsen nicht nur auf die 27 Landesgrenzen der EU-Mitgliedstaaten stoßen. “Allein in Deutschland gibt es neben einem Bundesdatenschutzbeauftragten noch 16 Landesdatenschutzbeauftragte, die Regeln mitunter unterschiedlich interpretieren.” Mit diesen Grenzen werde es bei fortschreitender Digitalisierung im Wettbewerb mit den USA und China tatsächlich schwer.