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Deutsche Unternehmen können auf China als Handelspartner nicht verzichten. Trotzdem sucht die Wirtschaft nach neuen Wegen, sich langsam anders aufzustellen.
Berlin – Die Liste der Klagen ist lang: unfaire Wettbewerbsbedingungen, Daten- und Technologieklau, massive Subventionen für heimische chinesische Konzerne. Trotzdem kann sich die deutsche Industrie einen Rückzug aus China in den allermeisten Fällen nicht vorstellen. Im Gegenteil: Es wird sogar weiterhin kräftig investiert – und zwar nicht viel weniger als in anderen asiatischen Wachstumsmärkten. Eine Entkoppelung vom chinesischen Markt ist aus Sicht der deutschen Wirtschaft unrealistisch, wie Mercedes-Chef Ola Källenius zuletzt mehr als deutlich sagte. Ein solches De-Coupling hätte massive Auswirkungen in den nächsten zehn Jahren und würde deutsche Firmen zurückwerfen, so Industrievertreter.
„Die Direktinvestitionsströme nach China sind 2022 um schätzungsweise gut elf Prozent gestiegen und damit ähnlich stark wie 2021, aber deutlich stärker als in den Vorjahren zwischen 2016 und 2020“, sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Direktinvestitionsströme in das übrige Ost- und Südasien ohne China stiegen 2022 in ähnlicher Größenordnung um etwas über zwölf Prozent.“ Amtliche Zahlen gibt es dazu bislang nicht. Es zeige sich also keine nennenswerte Diversifizierung weg von China, das sogenannte De-Risking. Das ist derzeit ein Modewort in der Industrie, die künftig zu starke Abhängigkeiten von bestimmten Märkten vermeiden will.
Xian in der nordwestchinesischen Provinz Shaanxi: China ist zurzeit als Handelspartner für die deutsche Industrie unersetzlich. © XinHua, Liu Xiao/dpa
BASF investiert zehn Milliarden Euro in China
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) spricht von einer Übergangsphase. Viele Unternehmen verstärkten ihre Wertschöpfungsketten derzeit in bestimmten Regionen – nicht nur in China, sondern auch in den USA und Südamerika. Das führe zunächst zu höheren Investitionen, so Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. BASF als weltgrößter Chemiekonzern baut beispielsweise gegenwärtig für zehn Milliarden Euro einen neuen Standort in der südchinesischen Provinz Guangdong auf.
Matthes zufolge setzten deutsche Unternehmen in China verstärkt auf dortige Zulieferer und auch lokale Forschung. Dies geschehe teilweise auf Druck der chinesischen Regierung, die mit Subventionen winke. Es gehe aber auch um die Wettbewerbsfähigkeit in Notfällen. Bei einem potenziellen Handelskrieg seien sie dann besser gewappnet, auch bei einem möglichen Taiwan-Konflikt mit gegenseitigen Sanktionen.
China immer noch wichtigster Wirtschafts-Partner für Deutschland
Auch der gegenseitige Handel läuft zumindest auf Jahresbasis noch rund. China blieb 2022 der wichtigste Partner Deutschlands – bereits das siebte Jahr in Folge, trotz damals noch strenger Corona-Lockdowns von ganzen Metropolen und Industriebetrieben. Der Außenhandelsumsatz – Exporte und Importe zusammen – summierte sich auf knapp 298 Milliarden Euro, ein Plus von mehr als einem Fünftel.
Volker Treier, Außenwirtschaftschef bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), sieht keine wirkliche Alternative zu China. Bei der geplanten Energiewende hin zu erneuerbaren Energien als auch bei der Mobilitätswende weg von Verbrennern würde es bei einer Entkoppelung von China nicht in der gewünschten Breite und in der erwarteten Schnelligkeit vorangehen. Das Gleiche gelte für selbstfahrende Autos. „Denn Zulieferungen und Vorprodukte dafür kommen überwiegend aus China – Wechselrichter, Solarmodule und Rohstoffe, die zum Beispiel bei der Herstellung von Halbleitern, in der Robotik oder bei Leichtdioden zum Einsatz kommen. Auch die Digitalisierung in Deutschland wäre dann erheblich schwieriger.“
Abhängigkeit von China: Firmen suchen neue Lieferanten
China ist hinter den USA und noch vor dem EU-Binnenmarkt der zweitgrößte Markt der Welt. „Kein exportorientiertes Unternehmen kann es sich leisten, diesen Markt zu ignorieren“, sagt BDI-Vertreter Niedermark. „Dass also der chinesische Markt auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird, ist unbestritten und Konsens zwischen Bundesregierung und deutscher Industrie.“ Es gehe eher darum, das internationale Geschäft außerhalb Chinas mit noch mehr Energie weiterzuentwickeln.
Treier zufolge analysieren deutsche Unternehmen derzeit mit Hochdruck, wie stark ihre Abhängigkeiten von bestimmten Märkten sind. „Firmen suchen sich deswegen bereits neue Lieferanten, prüfen neue Transportwege und preisen politische Risiken ein.“ Das habe aber einen Preis. „Alternativen sind für viele Unternehmen oft in der Region Asien-Pazifik zu finden. Indien und Indonesien sind als potenzielle Wirtschaftsgiganten interessant. Freihandelsabkommen mit ihnen würden der deutschen Wirtschaft sehr helfen.“ An diese müsste die Regierung aber pragmatisch herangehen. „Indien ist zum Beispiel vergleichsweise protektionistisch unterwegs, in Indonesien ergeben sich Probleme im Bereich der Nachhaltigkeit.“ Alternativen könnten sonst in Süd- oder Nordamerika zu finden sein.
Aber China wächst nach dem Ende der strengen Null-Covid-Politik wieder stärker und ist weltweit zusammen mit Indien das Zugpferd für die vergleichsweise träge Weltwirtschaft. „Insgesamt stimmt die Gewinn- und Ertragslage in China aus Sicht der deutschen Firmen“, so BDI-Lobbyist Niedermark. Laut DIHK sind es eher kleinere Firmen, die Alternativen zu China suchen. Abwanderungen gebe es nur in den seltensten Fällen, so Treier. „Es wird dann eher weniger neu investiert.“ Das sei eine schleichende Entwicklung. „Rund 15 Prozent der deutschen Unternehmen in China planen Investitionen außerhalb des Landes, aber in der Region.“ Das gehe aber nicht über Nacht. (Reuters/row)