Henry Kissinger: „Schmerzhaft“, dass auf deutschen Straßen die Hamas gefeiert wird | Politik

Henry Kissinger: „Schmerzhaft“, dass auf deutschen Straßen die Hamas gefeiert wird | Politik

Henry Kissinger (100) hat die glücklichsten Momente seines Lebens als Kind in Deutschland erlebt. Bevor Hitler an die Macht kam. In einem sehr persönlichen Interview mit Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner erzählt er, wie er sich mit den Deutschen versöhnte, obwohl er als Jude vor den Nazis fliehen musste und Familienmitglieder im Holocaust umkamen.

Henry Kissinger: Wie ich 100 geworden bin? Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht darauf angelegt.

Mathias Döpfner: Aber Du genießt es noch?

Weißt Du, wenn man mein Alter erreicht, legt sich eine gewisse Gelassenheit über einen, weil man keine großen Ansprüche mehr an die Zukunft haben kann, dann muss man das Richtige tun, weil man sich selbst keinen großen Schaden mehr zufügen kann.

„Als wäre man ein Gebrauchtwagen mit vielen Pannen“

Ist das die größte Freude am Älterwerden, diese innere Freiheit, die Du gerade beschrieben hast?

Nein, denn wenn man sehr alt wird, braucht man vieles. Es ist, als wäre man ein Gebrauchtwagen mit vielen Pannen. Aber im Großen und Ganzen befreit es dich von der Sorge, wie sich dein Handeln auf deine Zukunft auswirken könnte.

Das US State Department hat ausgerechnet, dass Henry Kissinger allein in seiner Zeit als amerikanischer Außenminister 565.000 Meilen geflogen ist und 213 Länder besucht hat. Er traf Mao Zedong und Deng Xiaoping, ging auf Wildschweinjagd mit Breschnew, er traf Golda Meir und Sadat, den saudischen König und den iranischen Schah, Indira Ghandi und den Papst. Er war der Erfinder der Pendeldiplomatie, um Krisen und Kriege durch persönliche Begegnungen – auch mit Autokraten – zu beenden.

„Nie den Sinn für Freiheit verlieren“

Du bist als Politiker für die Idee der Realpolitik bekannt geworden. Das ist ein sehr pragmatischer Ansatz der Politik. In Deiner Biografie von Niall Ferguson nennt er Dich, und das ist der Titel der ganzen Biografie, einen Idealisten. Bist Du ein Idealist?

Ich bin ein Idealist, der jedoch glaubt, dass Ideale einen Bezug zu den praktischen Möglichkeiten haben müssen. Und dass praktische Maßnahmen von Idealen inspiriert sein müssen. Aber man kann nicht in einem Schritt von dort, wo man ist, zu seinen Idealen gelangen, und deshalb glaube ich, dass man heute, wenn man die Probleme der Welt lösen will, von Visionen inspiriert sein muss. Und in der Politik glaube ich, dass Gesellschaften, die diese Möglichkeit zulassen, die richtigen Gesellschaften sind und die ich zu fördern versuche. Manchmal müssen sie durch Phasen komplizierter Entscheidungen gehen, aber sie dürfen nie ihren Sinn für Freiheit verlieren.

Und immer wieder war er in Deutschland, sogar mit seinen Eltern, dem Heimatland, aus dem sie als Juden vor den Nazis hatten fliehen müssen. Und mit dem er dennoch seinen Frieden gemacht hat, obwohl Angehörige im Holocaust ermordet wurden. Wie hat er das fertig gebracht? Auch darüber rede ich mit Henry Kissinger in diesem sehr Gespräch in seinem Gästehaus in Connecticut, drei Stunden von New York entfernt.

„Ich würde sagen, das waren die glücklichsten Momente meines Lebens“

Henry, wir wollten über Deutschland sprechen heute, lass mich die erste Frage zu Deiner Kindheit, wenn ich darf, auf Deutsch stellen, und wenn Du auch auf Deutsch antworten könntest. Was ist das erste Bild aus Deiner Kindheit, was ist die erste Erinnerung Deines Lebens?

(Antwort auf Deutsch) Das erste Bild ist ein Gefühl der Festigkeit, der Stabilität und eines normalen Lebens zwischen dem Haus in Fürth, wo ich aufgewachsen bin, und dem Haus meiner Großeltern in Leutershausen, wo ich auf Ferien ging.

Was war der glücklichste Moment in Deiner Kindheit, an den Du Dich erinnerst?

Ich war 8 Jahre alt, als Hitler an die Macht kam, also, bevor er an die Macht kam, hatte ich ein zufriedenes Leben mit einigen Höhepunkten des Glücks bei Familienfesten und als Fußballzuschauer bei SpVgg Fürth. Ich würde sagen, das waren die glücklichsten Momente meines Lebens.

„Von da an konnten uns Hitlerjungen auf der Straße verprügeln“

Und kannst Du Dich den Moment erinnern, in dem Du zum ersten Mal die Bedrohung durch das Naziregime und die Aggressionen gegen Juden und gegen Dich selbst gespürt hast?

In meinem Fall war das nicht so als Kind. Die Leute aus der Mittelschicht, die Bekannten meines Vaters und die Bekannten meiner Familie, die in unserem Haus verkehrten, waren alle der Ansicht, dass Hitler niemals an die Macht kommen würde, also fühlte ich mich nicht besonders bedroht, mein Vater schon, aber in unserer Familie und in allen Familien der Mittelschicht wurden die Kinder nicht in die politische Tätigkeit oder in politische Sorgen einbezogen. Das blieb den Eltern vorbehalten. Aber natürlich, nachdem Hitler an die Macht gekommen war, änderte sich das alles dramatisch. Die Leute, die wir vorher auf der Straße gesehen hatten, waren jetzt in der Regierung, und mein Vater wurde aus dem Gymnasium, in dem er unterrichtete, entlassen, und von da an konnten uns Hitlerjungen und auch andere Kinder auf der Straße verprügeln. Ab da wurde das Leben anders.

„Es gab nur eine Familie, die uns weiterhin freundlich gesinnt war“

Kannst Du Dich an Szenen in der Schule erinnern, in denen Du gemobbt wurdest oder in denen Dir von Nazis einfach Gewalt angetan wurde?

Nein, es war ja so, dass ich aus dem Gymnasium ausgeschlossen wurde, und es gab dann zwei Schulen, also waren meine Mitschüler jüdisch, denn Juden durften nicht mehr auf öffentliche Schulen oder Gymnasien gehen. Ich habe zwar auch erlebt, dass ich auf der Straße von Hitlerjungen angegriffen wurde, aber ich muss sagen, dass die Polizei in der ersten Phase der Nazizeit neutral war, sie hat versucht, sich aus solchen Angriffen herauszuhalten. Aber die ganze Atmosphäre war insgesamt sehr feindselig, überall gab es Schilder Juden sind nicht willkommen, Juden sind hier unerwünscht. So entstand eine starke Abgrenzung, in der man keine bürgerlichen deutschen Freunde hatte. Es gab in Leutershausen nur eine Familie, die uns weiterhin freundlich gesinnt war.

Als amerikanischer Soldat kam er zurück nach Deutschland – und sah das Grauen. Er als Jude, der vor den Nazis hatte fliehen müssen, der Familienangehörige im Holocaust verloren hatte, sah zum ersten Mal ein Konzentrationslager, als er bei der Befreiung des KZs Hannover-Ahlem dabei war. Ein Ereignis, das sein ganzes weiteres Leben prägte.

Das, was ich im Konzentrationslager gesehen habe, hat mich bis tief ins Mark erschüttert. Ich hatte zwar von Konzentrationslagern gehört und wusste, dass das keine Erholungsheime waren, aber der Grad der Entwürdigung von Menschen, den ich dort sah, überstieg jegliche Erfahrung. Ich konnte nicht glauben, dass Menschen unter solch unmenschlichen Bedingungen arbeiten können. Und es gab einen Häftling, sein Name war Sama, und ich sprach mit ihm, und es brach mir das Herz, er war ein junger Mann, dem man diese Erfahrung aufgezwungen hatte, und ich schrieb einen Artikel über ihn, wirklich nur für mich selbst, aber er wurde später in Büchern veröffentlicht.

„Diese Menschen sahen wie wandelnde Skelette aus“

Warum war dieses Gespräch so besonders, fast lebensverändernd für Dich, was hast Du in diesem Moment gefühlt und hatte das auch Auswirkungen auf Dein zukünftiges Leben als Politiker?

Das Besondere an diesem Gespräch war, dass er ein Mensch war, der vorher ein ganz normales Leben geführt hatte und nun so ausgezehrt war, diese Menschen sahen wie wandelnde Skelette aus, sie waren extrem unterernährt, und als ich diesem Mann sagte, dass er jetzt frei wäre, konnte er kaum begreifen, was das praktisch bedeutete. Ich habe sein Leben später verfolgt, er hatte sich ein Leben an der Westküste aufgebaut, und einmal gab es ein Treffen dieser KZ-Gruppe in den Vereinigten Staaten, bei dem ich gesprochen habe. Aber ich kam aus einem reichen Land mit einer Militäreinheit, und der Kontrast zwischen seinem und meinem Leben… Ich hielt Freiheit für selbstverständlich, und für ihn war Freiheit etwas fast Unvorstellbares.

Kann man sagen, dass Du seitdem Dein Leben der Freiheit gewidmet hast?

Ich habe mein Leben der Freiheit im Sinne von Ordnung und Stabilität gewidmet und möchte die Gesellschaften ermutigen, sich in dieser Atmosphäre zu entwickeln.

„War nicht frei von diesem Gefühl der Rache“

Trotz des Holocausts und der Tatsache, dass so viele Angehörige der Familie Kissinger von den Nazis getötet wurden, bist Du ohne Rachegefühle nach Deutschland zurückgekehrt. Warum wolltest Du Dich mit Deutschland versöhnen und was hat Dich nach all diesen Ereignissen dazu befähigt?

Nun, ich muss sagen, in der Anfangszeit, in den ersten Monaten der Besatzung, war ich nicht frei von diesem Gefühl der Rache, und ich habe auch nichts dagegen unternommen. Aber nach ein oder zwei Monaten, als ich sah, wie Deutschland litt, kam ich zu der Überzeugung, dass ein Schlussstrich gezogen werden musste, und tatsächlich, als ich mehr über die deutsche Geschichte erfuhr – Hitler war ein einzigartiges Ereignis in der deutschen Geschichte – da dachte ich, dass der beste Dienst, den ich tun konnte, darin bestand, zur Versöhnung mit Deutschland beizutragen und denjenigen in Deutschland zu helfen, die positivere Ansichten hatten. Ich habe großen Respekt vor den Regierenden und Menschen, die das heutige Deutschland aufgebaut haben.

Dennoch sind die aktuellen Ereignisse in Deutschland im Hinblick auf den Aufstieg des Rechtspopulismus sehr beunruhigend. Die AfD, diese sehr weit rechts stehende Partei in Deutschland, ist in Ostdeutschland schon in allen Umfragen die stärkste und größte Partei und gewinnt in großen Teilen der Bevölkerung unglaublichen Zuspruch für eine sehr nationalistische, isolationistische Richtung.

Ich denke, wenn Deutschland in diese Richtung geht, wäre das sehr unglücklich für Europa und für die internationale Ordnung, aber auch für die Idee des Lebens als freie Gesellschaften.

„Wenn der Groll zur vorherrschenden Meinung innerhalb eines Staates wird“

Aber hast Du eine Erklärung, warum das im Nachkriegsdeutschland des 21. Jahrhunderts möglich ist?

Es gibt natürlich viel Groll, der aufkommt, wenn bestehende Bedingungen verändert werden, und es gibt viele Probleme, auf die man eingehen muss, und es gibt auch viele Probleme, gegen die man im Moment nicht viel tun kann, aber wenn sich all dieser Groll verdichtet und wenn der Groll zur vorherrschenden Meinung innerhalb eines Staates wird, dann wird dessen Fähigkeit zur ungestörten Arbeit durch die ständigen internen Streitigkeiten untergraben.

Wenn Du heute auf Deutschland schaust, wie würdest Du es beschreiben? Ist es ein Land der Idealisten, ein Land der Ideologen? Wie beurteilst Du die aktuelle geistige Verfassung in Deutschland?

Ich denke, dass die Regierung Deutschlands von Menschen in eine idealistische Richtung geführt wird, dass aber die Stimmung in Deutschland, die Debatte in Deutschland im Grunde keine Wurzeln hat, dass sie Ideale vertritt, die nicht zu verwirklichen sind, und dann dazu verurteilt ist, Dinge, die praktisch sind, nicht zu tun, sodass die Gesellschaft zwischen ihren Visionen und ihren Überzeugungen hin- und hergerissen ist und nicht genau weiß, wohin sie jetzt gehen soll.

„Einige Gefahren sind so absolut, dass man sich ihnen entgegenstellen muss“

In welche Richtung soll sich Deutschland denn entwickeln? Was sollten die Lehren aus unserer Geschichte sein?

Es sollte sich keine absolut visionären Ziele setzen. Es sollte seine Visionen haben, aber auch erkennen, dass zur Lösung der unmittelbaren Probleme auch Anpassungen nötig sind. Es sollte aber auch wissen, dass es einige Gefahren gibt, die so absolut sind, dass man sich ihnen entgegenstellen muss. Ich denke also, dass das heutige Deutschland eine entscheidende Rolle beim Aufbau der neuen Ordnung spielen könnte. Und die neue Ordnung ist notwendig, weil das, was nach dem Krieg aufgebaut wurde, zwar beeindruckend und wichtig war, aber Deutschland von einem Staat ohne wesentliche Entscheidungsbefugnis zu einem Land gemacht hat, dessen Entscheidungen von großer, oft entscheidender Bedeutung sind, ohne darauf vorbereitet zu sein.

„Deutschland wird nach dem Ende des Krieges in der Ukraine eine wichtige Rolle spielen“

Du forderst von Deutschland Führung, die Welt erwartet Führung, aber Deutschland hat Schwierigkeiten mit Führung, es ist ein diskreditierter Begriff in Deutschland. Wie kann das überwunden werden?

Der Grund, weshalb Deutschland in Misskredit geraten ist, liegt fast ein Jahrhundert zurück. Und man kann von einer Nation nicht verlangen, einen Preis für die Taten ihrer Vorväter zu zahlen. Deutschland muss bei der Umsetzung seiner Politik natürlich auf seine historische Verwundbarkeit achten, aber ich denke, es sollte in die Zukunft blicken, und wir in den Ländern um Deutschland herum müssen Deutschland erlauben, in die Zukunft zu blicken, und deshalb muss es eine internationale Politik entwickeln, die es ihm erlaubt, eine Führungsrolle zu spielen. Ich denke, dass Deutschland nach dem Ende des Krieges in der Ukraine, den Russland begonnen hat, eine wichtige Rolle spielen wird, die es bisher beim Aufbau eines internationalen Systems nicht hatte, und es muss sich für diese Aufgabe so ausbilden, wie es das zu Beginn der Nachkriegszeit getan hat, und das ist noch nicht erkennbar.

„Der Angriff hat den Zweck, die arabische Welt gegen Israel zu mobilisieren“

Zwei Tage vor dem Interview überfällt die Terrororganisation Hamas Israel, feuert tausende Raketen aus dem Gazastreifen ab, macht erbarmungslos Jagd auf Zivilisten, massakriert Alte, Frauen und Kinder barbarisch. Mehr als 1400 Menschen sterben. Mehr als 200 Geiseln vieler Nationalitäten werden in den Gazastreifen verschleppt. Es ist der grausamste Tag in der Geschichte des Staates Israel.

Die Invasion eines Landes, Geiseln zu entführen, einige von ihnen zu ermorden, über tausend Menschen zu töten – dass dies möglich ist im internationalen System – ist unfassbar. Wir haben es hier mit einem Angriff auf israelisches Territorium selbst zu tun, dessen Zweck nur sein kann, die arabische Welt gegen Israel zu mobilisieren und von friedlichen Verhandlungen abzubringen. Es muss eine Strafe geben. Ich denke, Israel hat keine andere Wahl, als in Gaza einzumarschieren und diese Art von Beziehungen zu beenden. Man darf nicht vergessen, dass dieses Gebiet von Israel besetzt war, dass es unter der vollen Kontrolle Israels stand und dass es sich freiwillig und ohne Druck zurückzog. Der Rückzug erfolgte also im guten Glauben und in der Erwartung zu beweisen, dass Israelis und Araber zusammenleben können, aber man kann Menschen keine Zugeständnisse machen, die erklärt und durch ihre Taten eindeutig bewiesen haben, dass mit ihnen kein Frieden möglich ist.

„Bedingungslose Unterstützung für substanzielle israelische Maßnahmen“

Henry, verschiedene deutsche Bundeskanzler haben sich vorbehaltlos für die Sicherheit und das Existenzrecht Israels eingesetzt. Was bedeutet das im Zusammenhang mit den Ereignissen? Was sollte Deutschland in dieser Situation tun?

Ich habe mehrere Friedensabkommen im Nahen Osten ausgehandelt. Ich bin also nicht für einen unbegrenzten Konflikt. Aber in dieser besonderen Situation, in der sich ein Gebiet, das Israel freiwillig aufgegeben hat, in eine gegen Israel gerichtete Festung verwandelt hat, sollte es meiner Meinung nach bedingungslose Unterstützung für substanzielle israelische Maßnahmen geben.

Nur politische Unterstützung oder auch militärische Unterstützung?

Ich weiß nicht, was Israel im Moment braucht. Aber im Extremfall – ja.

„Die Feierlichkeiten über das, was passiert ist, sind schmerzhaft“

Wir haben auf deutschen Straßen in Berlin mitbekommen, dass Araber den Anschlag öffentlich feierten und Süßigkeiten an die Menschen verteilten. Ist das eine Folge der gescheiterten Migrationspolitik in Deutschland?

Es war ein schwerer Fehler, so viele Menschen mit völlig unterschiedlichen kulturellen und religiösen Vorstellungen ins Land zu lassen, denn dadurch entsteht in jedem Land eine Interessengruppe, die Druck ausübt. Deshalb finde ich die Feierlichkeiten über das, was passiert ist, was technisch gesehen eine Art kriminelle Handlung war, schmerzhaft.

„Er hätte alles umgebracht, um seine Ziele zu erreichen“

Du hast in Deinem politischen Leben viele führende Persönlichkeiten mehrmals getroffen. Mao, Breschnew, Putin, andere Autokraten, Diktatoren, Populisten. Welcher Regierungschef war die unheimlichste Persönlichkeit, die Du je getroffen hast?

Ich mag das Wort „unheimlich“ nicht.

Oder gefährlich.

Wozu einer fähig war – ich würde sagen Mao.

Er hat fast 90 Millionen Menschen umgebracht. Und wird immer noch gefeiert in China gefeiert.

Er hätte alles umgebracht, um seine Ziele zu erreichen.

„Wir betrachten die Chinesen als Kommunisten, aber…“

Du hast auch Xi Jinping mehrere Male getroffen. Würdest Du sagen, dass er seine Persönlichkeit verändert hat und wir es mit einem anderen, autokratischeren Xi zu tun haben als noch vor ein paar Jahren?

Ich denke, dass es mit den frühen chinesischen Führern, mit denen wir zu tun hatten, wie Deng Xiaoping, leichter war, weil für sie die Anpassung an das internationale System für den Aufbau ihrer Wirtschaft von größter Bedeutung war. Aber inzwischen habe ich die Chinesen besser verstanden, wir betrachten sie als Kommunisten. Ich denke aber, dass der Kommunismus für sie nur eine Form für eine autoritäre Herrschaft ist, und dass sie tatsächlich nach konfuzianischen Prinzipien handeln. Und konfuzianische Prinzipien erfordern zwar ein Arbeiten auf der höchsten Ebene ihrer Fähigkeiten, aber nicht die Aneignung von Gebieten und die Beherrschung anderer Länder, außer in dem Sinne, dass sie glauben, angesichts der Entwicklung ihrer Fähigkeiten auch Anspruch auf den Respekt zu haben, den die Größe ihres Verhaltens gebietet. Das heißt, wenn wir schwach sind, ist es schwer, eine sinnvolle Politik zu betreiben, und wenn China die Welt beherrschen sollte, dann nicht durch Eroberung, sondern durch Leistung. Wenn wir also nicht wollen, dass das passiert, und das will ich nicht, dann ist das Scheitern unserer Beziehung zum Teil auf unsere eigenen mangelnden Fähigkeiten zurückzuführen. Wenn wir stark und zielstrebig sind, halte ich eine Koexistenz mit China für möglich. Und für die Entwicklung der modernen Technologie ist das auch notwendig.

„Im Rest der Welt ist ein Machtwechsel am einfachsten, indem man das Militär hinter sich bringt“

Wie optimistisch bist Du für die Zukunft der Demokratie?

Ich glaube, die Demokratie steckt in Schwierigkeiten. Denn sie wurde in ihrer jetzigen Form in einem geschichtlich gesehen relativ kurzen Zeitraum eigentlich von den Mittelschichten begonnen. Sie wurde jedoch von Gesellschaften gebildet, in denen es keine grundlegenden politischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen gab, weshalb die Opposition im modernen System mit Respekt behandelt wurde. Aber die Technik war relativ stabil und entwickelte sich langsam. Heute verändert sich das Leben der Menschen dramatisch, und die Einkommensunterschiede sind deutlicher als in früheren Zeiten. Damit sind die Notwendigkeit des Kompromisses und die Verständigung, die Du und ich für das demokratische System für zentral halten, in großer Gefahr. Das gilt so für den Westen. Im Rest der Welt ist ein Machtwechsel am einfachsten, indem man das Militär hinter sich bringt und mit autoritären Mitteln regiert, und wer einmal an der Macht ist, gibt sie nur sehr ungern auf. Die Demokratie ist also in Gefahr, die Demokratie muss sich wieder aufbauen. Ich denke, das ist eines der Hauptprobleme. Das ist ein Problem für Amerika und für jede andere Gesellschaft. Und die wichtigsten von ihnen befinden sich in Europa.

„Trump war sehr auf sich selbst fokussiert“

Henry, aus der Sicht eines Hundertjährigen, sind Biden und Trump zu alt für das Amt?

Biden ist ein gewählter Präsident. Ich stimme mit einigen seiner politischen Maßnahmen nicht überein. Aber ich greife ihn nicht an.

Sollte es statt eines Mindestalters, um Präsident zu werden, vielleicht ein Höchstalter geben?

Lass mich Deine Frage so beantworten. Für den Standpunkt, den ich vertrete und den ich Dir erläutert habe, gibt es derzeit keinen Präsidentschaftskandidaten, aber in Fragen von nationalem Interesse habe ich Biden im Ukraine-Krieg unterstützt, er ist ein anderes Phänomen als Trump, mit dem ich auch freundschaftliche Beziehungen hatte. Aber Trump war so sehr auf sich selbst fokussiert, dass ich glaube, dass es ihm sehr schwerfallen würde, das Land zu vereinen.

„Hätten wir in Vietnam früher aussteigen sollen?“

Welche politische Entscheidung, die Du in Deiner Laufbahn getroffen hast, würdest Du heute anders treffen?

Weißt Du, diese Frage wird mir oft gestellt. Strategisch, das klingt arrogant, aber strategisch hatte ich das Thema seit meiner Jugend studiert. Ich denke, dass ich die Richtung nicht ändern würde, aber es gibt taktische Entscheidungen auf dem Weg, die sich als falsch erwiesen haben, wie meine Ausrufung des Jahres von Europa 1973, die verfrüht und daher falsch war. Im Vietnamkrieg, von dem immer die Rede ist, war es meine vorrangige Überzeugung, die Regierung, die mit uns gekämpft hatte, nicht den Absolutisten zu überlassen. Ich dachte, wir müssten diese Regierung, die wir geschaffen hatten, bewahren, aber das erwies sich als unvereinbar mit unserer Innenpolitik. Aber wenn wir anders gehandelt hätten, und mit “wir” meine ich nicht mich allein oder mich in erster Linie, sondern wenn Amerika anders gehandelt hätte, wenn es Südvietnam den Wölfen überlassen hätte, dann hätte das in jeder Regierung die Glaubwürdigkeit unserer Bündnisse untergraben. Hätten wir also früher aussteigen sollen? Das ist schwer zu sagen, denn unsere Gegner hätten uns einen früheren Ausstieg nur unter Bedingungen gestattet, die den Anschein der absoluten Schwäche der Vereinigten Staaten und ihrer Unfähigkeit zu ihrem Schutz, erweckt hätten.

„Wissenschaftler und nachdenkliche Menschen zusammenzubringen“

Henry, nehmen wir an, Du könntest eine politische Entscheidung treffen, die sofort und ohne Diskussion umgesetzt würde. Welche Entscheidung wäre das, was würdest Du entscheiden?

Zum Thema KI würde ich versuchen, Wissenschaftler und nachdenkliche Menschen zusammenzubringen. Die Wissenschaftler hätten keine bösen Absichten, ihre Absichten wären gut, aber sie entwickeln, was sie sehen. Wir müssen jedoch einen Weg finden, das mit den Zielen der Freiheit und Koexistenz in der Welt zu verbinden.

Künstliche Intelligenz. Wie lang sind 100 Jahre? Als Henry Kissinger 1923 in Fürth geboren wurde, ging in Deutschland gerade das erste Radio auf Sendung. Jetzt beschäftigt er sich mit Künstlicher Intelligenz, hat u.a. mit Ex Google Chef Eric Schmidt schon EIN Buch darübergeschrieben, arbeitet gerade an dem zweiten. Radio, Fernsehen, Computer, Internet, Smartphones und soziale Medien – alle technischen Revolutionen, die jeweils die Welt verändert haben, hat er miterlebt. Und jetzt KI.

„Die Frage unseres Lebens“

Ist KI die größte Herausforderung unserer Zeit?

Ich glaube ja.

Werden auf lange Sicht die Maschinen den Menschen dienen oder die Menschen den Maschinen?

Das ist die Frage unseres Lebens. Das ist die Frage.

„Ich mache mir wegen KI große Sorgen“

Du musst Dich entscheiden. Was denkst Du?

Ich denke, das lässt sich vermeiden, aber nur, wenn man das Wesen dieser Intelligenz versteht, die auch in der Lage sein wird, ihren eigenen Standpunkt zu erzeugen. Es muss getan werden. Aber es wird nicht getan, weil es noch nicht verstanden wird. Die Entwicklung dieser Maschinen liegt in den Händen der Wirtschaftsingenieure, die daher natürlich ständig brillante Fortschritte entwickeln, und die Leistung verdoppelt sich jedes Jahr. Das ist die große Herausforderung unserer Zukunft und auf dieser Ebene liegt es auch im Interesse Chinas und anderer fortgeschrittener Länder und schließlich aller Länder, sich daran zu beteiligen, weil sie sonst einer Maschinerie ausgeliefert sind, die sie nicht verstehen. Ich mache mir wegen KI große Sorgen. Du stellst eine Frage, erhältst eine Antwort und glaubst ihr, obwohl Du keine Ahnung hast, auf welche Weise die Antwort zustande gekommen ist und wie der Computer sein Wissen erlangt. Und wenn diese Maschinen erst einmal miteinander kommunizieren können, was sicherlich innerhalb von fünf Jahren der Fall sein wird, dann wird es fast zu einem Artenproblem, ob die menschliche Spezies ihre Individualität angesichts dieser von ihr selbst geschaffenen Konkurrenz bewahren kann. Das ist das eigentliche Problem. Wir haben es jetzt mit einer ganz anderen Intelligenz zu tun.

„Ich hätte es gern, dass sie von mir als jemanden denken…“

Henry, die allerletzte Frage. Wie sollten die Leute in 50 Jahren in einem Satz über Dich sprechen?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich mir darüber keine allzu großen Sorgen mache. Aber ich hätte es gern, dass sie von mir als jemanden denken, der in eine freie Gesellschaft hineingeboren wurde und der dazu beitragen wollte, dass die Freiheit nicht durch ständige Krisen eingeschränkt wird. Deshalb habe ich mich in verschiedenen Kriegen auf der ganzen Welt dafür eingesetzt, sie zu einem konstruktiven Ende zu bringen und wann immer möglich mit einer demokratischen Lösung.

Thank you very much, Henry. It was a pleasure talking to you.

Aber in 50 Jahren wird die KI das vielleicht beantworten