Im Sommer erlebte Europa die nächste Hitzewelle – mit brennenden Wäldern, mit Trinkwasser, das knapp wird (mehr dazu hier). Die Klimakrise schreitet unbeirrt fort, laut dem Emissions-Gap-Report des UN-Umweltprogramms könnte sich die Welt voraussichtlich bis zum Jahr 2100 um fast 3 Grad erwärmen. Das hätte gravierende Folgen für Mensch und Natur.
Umweltschutz ist deshalb unabdingbar: Die Letzte Generation bringt den Protest dafür auf die Straße, Fridays for Future hat ihn als wiederkehrendes Mantra installiert, Klimaforscher wie Mojib Latif mahnen immer wieder vor den Folgen des Klimawandels. Im Gespräch mit dieser Redaktion erläutert der Meteorologe vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung die Auswirkungen auf Deutschland.
Klima: Was kommt auf Deutschland zu?
Laut dem neusten UN-Bericht wird sich die Welt voraussichtlich bis 2100 bis zu 2.9 Grad erwärmen – welche Folgen hat das auf Deutschland?
Die Folgen hängen davon ab, wie die Welt sich in Zukunft verhält. Wenn sich die Erde um 3 Grad erwärmt, dann kann es durchaus sein, dass wir in Deutschland bei nahezu dem Doppelten liegen würden. Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Aber klar ist: Es wird deutlich wärmer werden.
Welche Szenarien drohen bei dieser starken Erwärmung?
Im Prinzip muss man sich nur umgucken, was in den letzten Jahren passiert ist: Mehr Wetterextreme, mehr Hitze, mehr Starkregen, mehr Dürre im Sommer. Das hat verschiedene Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Infrastruktur, die auf diese extremen Situationen überhaupt nicht ausgelegt ist. Und dann kommt noch der steigende Meeresspiegel dazu.
+++ Ein Kommentar über den Wandel von Klima-Aktivistin Greta Thunberg +++
Stichwort Sturmflut an der Ostsee. Diese hat zahlreiche Schäden angerichtet: Dämme sind gebrochen, Häuser wurden zerstört. Wie stark sind die Küstenregionen gefährdet?
Der Meeresspiegel ist noch nicht stark angestiegen, wird sich in Zukunft aber beschleunigen. Es reichen schon kleine Anstiege aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. In Flensburg hatten wir Rekordpegel mit einem Anstieg von zehn Zentimetern, der ausreicht, um zu einer Katastrophe zu führen. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es immer öfter zu solchen Ereignissen kommt.
Wen trifft es am stärksten?
Alle. Einige werden sehr viel Hitze haben, andere haben mit Trockenheit zu kämpfen, wieder andere mit starken Niederschlägen. All das kann auch in einer Region auftreten. Es gibt keine Region, die nicht betroffen ist.
Es reichen schon kleine Anstiege aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.
– Mojib Latif, Klimaforscher
Was müssen die Regierungen unternehmen?
Welche Maßnahmen müsste die Bundesregierung treffen, um die Erwärmung zu stoppen?
Es ist ein globales Problem, die Bundesregierung kann nicht viel machen, außer Technologie fördern und Deutschland zum Vorbild machen. Entweder macht die Welt das gemeinsam oder es klappt nicht. Heißt: Wir brauchen internationale Kooperationen. Es gibt immer mehr Nationalismus, immer mehr Autokraten werden an die Macht gespült, die die Umwelt als Ressource sehen und sie nicht schützen. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um die globalen Umweltprobleme zu lösen.
Warum steuert die Erde trotz bereits getroffener Klimaschutzmaßnahmen auf diese Erwärmung zu?
Weil es nicht reicht. China beispielsweise baut viele Kohlekraftwerke, während andere Länder erneuerbare Energien ausbauen. Es fließen immer noch zu viele Investitionen in die fossilen Energien.
Was muss also konkret passieren?
Wir werden 2023 einen historischen Höchststand bei den weltweiten CO2-Emissionen haben und die höchsten Temperaturen seit Messbeginn. ‚Wir brechen die falschen Rekorde‘, wie es der UN-Bericht schreibt. Der weltweite Ausstoß ist seit 1990 um 60 Prozent gestiegen, in Deutschland um 40 Prozent gesunken. Deutschland tut schon etwas, während China oder die USA gar nichts oder zu wenig unternehmen.
Alle Länder müssen sich dazu verpflichten, sich von fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Man muss partnerschaftliche Modelle entwickeln. Deutschland beispielsweise wird immer Energie-Import-Land bleiben und müsste Deals mit anderen Ländern eingehen.
Foto: dpa Infografik/Grafik: IPCC, A. Brühl, Redaktion: B. Schaller/J. Schneider
Ist es noch möglich, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen?
Wir werden mit Sicherheit das 1,5-Grad-Ziel reißen, die Grenze ist eine riesengroße Illusion. Man hat das Pariser Klima-Abkommen 2015 unterschrieben, der weltweite Ausstoß ist aber weiter gestiegen. Wozu gibt es ein Abkommen, wenn es nicht eingehalten wird?
„Wir kommen vom Wissen nicht zum Handeln“
Sie beschäftigen sich nun schon seit vielen Jahren mit dem Klimawandel und seinen Folgen – verspüren Sie immer noch Hoffnung?
Zunächst einmal Frust – gerade, wenn man seit 40 Jahren diese Dinge kommuniziert. Alle wissen, worum es geht. Aber wir kommen vom Wissen nicht zum Handeln. Trotzdem habe ich noch Hoffnung. Die Möglichkeiten, die Erwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, bestehen: Wir haben auf der Welt erneuerbare Energie im Überfluss, die Technologie und das Geld. Ich hoffe, dass die erneuerbaren Energien irgendwann so günstig sind, dass alle sie wollen. Wir stehen nicht bei 0, sollten die Flinte also noch nicht ins Korn werfen.
Was halten Sie von den Klima-Protesten der Letzten Generation und von Fridays for Future?
Das ist auch eine Folge einer falschen Kommunikation der Weltpolitik, die immer krampfhaft an dem 1,5-Grad-Ziel festhält und sonst so tut als würde die Welt dann untergehen. Die Letzte Generation hat das jetzt ernstgenommen. Das, was die Letzte Generation macht, ist verständlich, aber auch kontraproduktiv, weil man die Akzeptanz der Bevölkerung verliert und Gefahr läuft, dass Klimaschutz zu einem Reizwort wird. Fridays for Future hat das Thema wieder hoch gebracht. Aber: Das, was Greta Thunberg aktuell macht, tut der Klimabewegung natürlich einen Bärendienst.