15 Millionen vollelektrische E-Autos bis 2030. So lautet das ambitionierte Ziel der Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag. Doch warum ausgerechnet E-Autos? Warum diese Technologie?
Bereits seit Jahren setzt die deutsche Bundesregierung bevorzugt auf E-Mobilität und fördert diese, obwohl E-Autos einige noch ungelöste Probleme mit sich bringen und ihr Beitrag zum Klimaschutz wissenschaftlich kontrovers diskutiert wird. Besonders unter der Großen Koalition wurden umfangreiche Fördermaßnahmen auf den Weg gebracht. Nach außen hin wird dies meist mit den Klimazielen und der notwendigen CO₂-Reduktion begründet. Nur mit alternativen Antriebsarten im motorisierten Individualverkehr (MIV) kann eine signifikante CO₂-Einsparung im Verkehrssektor gelingen. Zu den relevanten Zukunftstechnologien und alternativen Antriebsarten zählen das E-Auto mit batterieelektrischem Antrieb, der Wasserstoff- und Brennstoffzellenantrieb und die synthetischen Kraftstoffe.
Doch warum wird in Deutschland von diesen Technologien vor allem die E-Mobilität so gezielt und massiv gefördert? Stellt dies mit Blick auf den Klimaschutz eine effektive Strategie dar?
Im weiteren Verlauf des Artikels soll mit einer Analyse der zentralen förderpolitischen Entscheidungen aufgezeigt werden, welche Faktoren und Akteure für den Beschluss von Fördermaßnahmen entscheidend waren. Beruht die Förderung von E-Autos auf wissenschaftlicher Evidenz oder sind andere politikwissenschaftliche Erklärungsfaktoren maßgeblich?
Die staatliche Förderung der Elektromobilität
Neben zahlreichen Förderprogrammen, steuerlichen Vergünstigungen und gesetzlichen Vorschriften, die den Kauf von E-Autos fördern, existieren gleichzeitig Fördermaßnahmen zum Aufbau eines flächendeckenden, öffentlichen Ladeinfrastrukturnetzes. Beispielsweise sieht der „Masterplan Ladeinfrastruktur“ (2019) den Aufbau von einer Million öffentlichen Ladepunkte bis 2030 vor.
Im Folgenden wird zunächst der zeitliche Ablauf der Förderpolitik beginnend in den 90er-Jahren skizziert und anschließend die zentralen, förderpolitischen Entscheidungen analysiert. Dies betrifft besonders die Einführung des Umweltbonus 2016 und die Innovationsprämie 2020. So soll analysiert werden, wie Entscheidungen für Förderprogramme zustande kamen.
Die verschiedenen Zyklen der Elektromobilitätsförderung: Der zeitliche Ablauf der Förderpolitik
Obwohl bereits 1991 in Form einer 5-jährigen KFZ-Steuerbefreiung für E-Autos mit der Nachfrageförderung begonnen wurde, rückte erst Mitte der 2000er-Jahre die E-Mobilität verstärkt in den politischen Fokus.
Der Beginn der deutschen Elektromobilitätspolitik 2009-2015
Tatsächlich war die E-Mobilität als alternative Antriebsarten zu Beginn der 2000er-Jahre an Bedeutung gewannen nicht von Beginn an die favorisierte Technologie. Zunächst wurde Wasserstoff, auch vonseiten der Industrie, als die zukunftsfähigste Lösung postuliert. So startete 2006 mit NIP I die Fokussierung auf die Wasserstofftechnologie. Parallel dazu gelangte aber 2007 auch die E-Mobilität in Form des Integrierten Energie- und Klimaprogramms (IEKP) auf die politische Agenda. Mit der anschließenden Finanz- und Wirtschaftskrise öffnete sich kurzfristig das erste Gelegenheitsfenster (Window of Opportunity) für eine verstärkte staatliche Förderung. So wurde die E-Mobilität gezielt in das Konjunkturpaket eingebunden und mit Finanzmitteln ausgestattet. Dies sollte zu einer kurzfristigen Belebung der Konjunktur beitragen. So gelangte die E-Mobilität durch ein unvorhersehbares Ereignis auf die Agenda und sollte primär kurzfristige Konsumanreize setzen und dem drohenden Wirtschaftseinbruch entgegenwirken. Die politische Argumentation zur Förderung folgte vor allem den industriepolitischen Dimensionen der Technologie.
Interessant ist an dieser Stelle auch ein Blick auf die Akteure, die die Aufnahme der Elektromobilität in das Konjunkturpaket II unterstützten: Dies waren vor allem der damalige SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee in engem Austausch mit dem Automobilhersteller BMW. Dieser hatte als erster deutscher Hersteller mit dem Modell i3 ein E-Auto als Serienfahrzeug entwickelt und dementsprechend Interesse an einer umfassenden Förderung. Gleichzeitig eröffnete BMW 2005 ein neues Großwerk in Leipzig, dessen Oberbürgermeister Tiefensee von 1998 bis 2005 war. Beide Akteure können zu diesem Zeitpunkt als s.g. Agenda Setter der E-Mobilitätsförderung identifiziert werden.
Bereits im Frühjahr 2009 positionierten sich BDEW, ZVEI und VDA als führende Industrieverbände in einem gemeinsamen Positionspapier zum Thema E-Mobilität und forderten von der Politik u.a. die Schaffung von Marktanreizen, die Einrichtung einer gemeinsamen Plattform und die Formulierung von realistischen Zielerwartungen. Zu diesem Zeitpunkt verliefen Konfliktlinien vor allem zwischen den Ministerien. Während sich das Umweltministerium von der E-Mobilität Fortschritte hinsichtlich der Integration von EE und umweltbezogenen Aspekten versprach, setzte das für Verkehr zuständige Ministerium weiter auf Wasserstoff als Zukunftstechnologie.
Am 19. August 2009 startete mit der Verabschiedung des Nationalen Entwicklungsplans Elektromobilität (NEP) dann schließlich die offizielle Elektromobilitätspolitik. Mit dem NEP wurde der Weg zum Leitmarkt E-Mobilität offiziell festgeschrieben und der Fokus auf die E-Mobilität als bevorzugte Technologie gelegt. Der verwendete Begriff „Leitanbieterschaft/Leitmarkt“ zeigt die Verschiebung von klima- und verkehrspolitischen Zielen hin zu verstärkt industriepolitischen Zielsetzungen. Erstmals wurde das Ziel ausgerufen, bis 2020 eine Million E-PKWs auf den deutschen Straßen zu erreichen.
Die Motivation für diese frühe Festlegung auf E-Mobilität beruhte primär auf der Unterstützung der eigenen Industrie: Während Umweltverbände die E-Autoförderung mit Blick auf ihren möglichen Beitrag zum Klimaschutz kritisierten, lag das Hauptaugenmerk der Politik auf der Wahrung von Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie. Mit dieser Priorisierung wurde der Weg für andere Technologien, v.a. der bereits begonnenen Wasserstoff- und Brennstoffzellenförderung, deutlich erschwert.
Auch die Einrichtung der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ (NPE) 2010 und ihre Besetzung mit Vertretern der führenden deutschen Automobilkonzerne stärkte industriepolitische Interessen, während klimapolitische Aspekte kaum Berücksichtigung fanden. Über die NPE erhielten primär Vertreter der führenden Autokonzerne Zugang zum politischen Entscheidungsprozess. Da schon früh wurde von der ehrgeizigen Zielmarke von einer Million E-PKW bis 2020 gesprochen wurde, forderte die NPE von der Politik konkrete Anreize für den Markthochlauf und legte auch selbst Maßnahmenkataloge vor, wodurch sie wesentlich Einfluss ausüben konnte.
2011 folgte das „Regierungsprogramm Elektromobilität“, das den Fokus wiederholt offiziell auf den batterieelektrischen Antrieb legte. Trotzdem flachten in den Folgejahren die Förderbemühungen unter der schwarz-gelben Regierung ab. Dies lag vor allem an der Haltung des damaligen CSU-Verkehrsministers Peter Ramsauer und der Regierungsbeteiligung der FDP. Denn bereits 2011 forderten Vertreter der Automobilindustrie, des VDA und die NPE die Einführung einer Kaufprämie, was aber von Regierungsseite abgelehnt wurde. Das Abflachen der Förderbemühungen lag maßgeblich in der Regierungsbeteiligung der FDP begründet, die schon im Wahlprogramm 2009 Technologieoffenheit betonte und neben der E-Mobilität auch Biokraftstoffe und wasserstoffgetriebene Brennstoffzellen als förderwürdige Technologien aufführte.
Erst 2016 gewann die E-Mobilitätspolitik wieder deutlich an Schwung und es kam mit der Einführung der Kaufprämie am 29. Juni 2016 zu einem massiven Policy-Wandel. Dieser soll im Folgenden näher analysiert werden.
Die Einführung der Kaufprämie 2016: Signifikanter Wandel – Aber warum?
Nach außen hin wird die E-Autoförderung häufig mit Klimaschutzaspekten begründet, wie auch der Name „Umweltbonus“ suggeriert. In der politischen Realität aber spielten bei der Entscheidung für die Einführung der Kaufprämie Umweltaspekte tatsächlich kaum eine Rolle. Wie bereits aufgezeigt, spielten auch zuvor 2009 nicht klimapolitische Aspekte, sondern wirtschaftliche und industriepolitische die zentrale Rolle. So auch bei der Einführung der Kaufprämie 2016.
Im Vorfeld zum Beschluss des Umweltbonus waren drei Problembereiche wesentlich:
- Die Situation der heimischen Automobilindustrie: Deren Image hatte nicht nur unter dem Diesel-Skandal 2015 erheblich Schaden genommen, sondern sie geriet mit den neu beschlossenen CO₂-Emissionsgrenzwerten und dem Aufstieg Chinas im Automobilbereich zusätzlich unter Handlungsdruck. Während sich China im Bereich der batterieelektrischen PKW und Hybridmodelle als Weltmarktführer positionierte, drohte für die deutsche Branche der Verlust der Technologieführerschaft.
- Klima- und Umweltaspekte, besonders die zu hohen CO₂-Emissionen des Individualverkehrs und die schlechte Luftqualität in urbanen Ballungszentren.
- Die politischen Zielsetzungen: Seitens der Bundesregierung wurde für 2020 das Ziel von mind. 1 Million E-PKW ausgerufen. Zwischen diesem Ziel und dem tatsächlichen Markthochlauf zeichnete sich früh eine immense Kluft ab.
2015 nahm die Diskussion um eine erneute Förderung von E-Autos Fahrt auf, weil die verschiedenen Problembereiche aufeinanderstießen: Obwohl 2014 bereits 17 E-Automodelle von deutschen Herstellern entwickelt worden waren, verlief die Nachfrage schleppend. Diese Nachfrageproblematik stieß mit der drohenden Einbuße an Wettbewerbsfähigkeit auf das ausgerufene Absatzziel von 1 Mio. E-Autos bis 2020. Nachdem zunächst erneute Steueranreize als Instrument abgelehnt wurden, fokussierte sich die Diskussion auf eine Kaufprämie. Dies stellte einen überraschenden Kurswechsel dar, weil im Koalitionsvertrag 2013 eine solche Kaufprämie noch explizit ausgeschlossen und stattdessen Technologieoffenheit betont wurde.
Schließlich bildete der Diesel-Skandal 2015 das zentrale Ereignis (focusing event), das die Einführung der Kaufprämie ermöglichte. Der Abgasskandal verschärfte nochmals die Krise der deutschen Automobilhersteller. Ende 2015 standen die deutschen Hersteller nicht mehr nur für den drohenden Verlust der Technologieführerschaft in der Kritik, sondern besonders auf Grund der illegalen Manipulationen. Als Folge des Diesel-Skandals benötigte die deutsche Automobilbranche dringend ein deutlich umweltfreundlicheres Image, während sich zeitgleich abzeichnete, dass das 1-Mio.-Ziel der Bundesregierung zu scheitern drohte. Dadurch gerieten beide Seiten öffentlich unter Druck.
Diese Hauptprobleme ließen sich 2016 mit dem Kaufprämienbeschluss als zentrale Lösung koppeln. Die Automobilindustrie musste ihr angeschlagenes Image nach dem Diesel-Skandal aufbessern und stand zudem durch die neuen EU-Grenzwerte zusätzlich unter Druck, während die Bundesregierung drohte, am 1-Mio.-Ziel zu scheitern. Somit waren bei Einführung der Kaufprämie nicht klimapolitische, sondern industriepolitische Überlegungen ausschlaggebend. Auch spielte die Nähe zur nächsten Bundestagswahl 2017 eine entscheidende Rolle. Eine erfolgreiche Einführung der Kaufprämie würde sich positiv auf die Außendarstellung der Großen Koalition auswirken. Gleichzeitig standen 2016 mit Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gleich drei Landtagswahlen an.
Der Regierungswechsel 2013 war dabei für die Kaufprämie eine notwendige Bedingung: Die vorherige schwarz-gelbe Koalition lehnte Kaufprämien aus ordnungspolitischen Gründen ab, wobei hier die Haltung der FDP ausschlaggebend war.
Welche Akteure übten maßgeblich Einfluss auf die Einführung der Kaufprämie aus?
Als zentraler Agenda-Setter kann an dieser Stelle die SPD identifiziert werden. So wurde von der SPD-Bundestagsfraktion im Januar 2016 das Positionspapier „Elektromobilität voranbringen“ präsentiert, in dem diese bereits eine Kaufprämie befürworteten.
Federführend verantwortlich für diese Positionierung der SPD war der damalige SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Dieser ist im Entscheidungsprozess zur Kaufprämie als s.g. Policy Entrepreneur auszumachen. Auf Grund seiner politischen Position als SPD-Vorsitzender, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler hatte er großen Einfluss in den Verhandlungsrunden. So erkannte er 2015 das geöffnete „Window of Opportunity“ und setzte sich fortan für den Umweltbonus ein. Es gelang ihm, zentrale politische Akteure, wie CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt, zu überzeugen. Obwohl der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums explizit von der Kaufprämie abriet und stattdessen als kostengünstigeren Weg zu einer klimapolitisch sinnvollen Reduzierung der CO2-Emissinen die Integration des Mineralöl- und Kraftstoffsektors in das ETS-System empfahl, wodurch die CO2-Einsparungen technologieneutralwären, blieb Gabriel bei seiner Unterstützung der Kaufprämie.
Neben Sigmar Gabriel als Policy Entrepreneur gab es zusätzlich einflussreiche Akteursgruppen. So bildete die Automobilindustrie mit ihren Verbänden eine machtvolle Gruppierung. Da über die Kaufprämie in zwei „Autogipfeln“ im Kanzleramt verhandelt wurde, konnte die Automobilindustrie großen Einfluss auf den politischen Prozess nehmen. Obwohl die Kaufprämie vom VDA in den Jahren zuvor noch abgelehnt wurde, fand Anfang 2016 ein Kurswechsel statt, der im Dieselskandal und den neuen CO2-Grenzwerten begründet war. Die Stellung als wichtigster Industriezweig und die Bedeutung als Arbeitgeber ermöglichten es der Autoindustrie, Druck auf die Politik auszuüben. Im Gegensatz dazu verfügten Umweltverbände und die Energiewirtschaft über deutlich weniger Einfluss. Diese besetzen auch in der NPE deutlich weniger Sitze in den Arbeitsgruppen als Vertreter der Autobranche.
Der Automobilindustrie gelang es, die genaue Ausgestaltung des Förderprogramms elementar zu beeinflussen: So berichtete der Stern, dem interne Akten von Wirtschafts- und Umweltministerium vorlagen, dass die Bundesregierung ursprünglich ein ambitionierteres Förderprogramm geplant hatte. Die Gewerkschaft IG Metall und der VDA sprachen sich aber gegen die geplante Finanzierung der Subvention über eine Bonus-Malus-Regelung aus. Demnach wäre die Bundesregierung auch bereit gewesen, zu anderen Instrumenten wie ein CO₂-basiertes Bonus-Malus-System oder eine Elektrofahrzeug-Quote für Automobilhersteller zu greifen. Zusätzlich blockierten der VDA und die IG Metall Pläne für eine verbindliche E-Quotenregelung. Die beschlossene finanziell fast gleichwertige Förderung von reinen E-Autos und Plug-in Modellen (PHEV) begünstigte primär die deutschen Autohersteller: Diese hatten 2016 mehr PHEV-Modelle im Sortiment als reine BEVs, bei denen ausländische Hersteller über eine breitere Produktpalette verfügten und deshalb verstärkt von der Kaufprämie profitiert hätten. Stattdessen profitieren deutsche Hersteller explizit von der Berücksichtigung der PHEVs im Umweltbonus.
Als dritte einflussreiche Akteursgruppe agierten die Landesregierungen der jeweiligen Bundesländer mit eigener Autoindustrie: So befürworteten die Landesregierungen von Niedersachsen und Bayern als indirekte Interessenvertretung der dort ansässigen Autoindustrie Volkswagen und BMW die Kaufprämie. Bereits 2014 sprach sich der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) für eine direkte Subvention aus und trat auch 2016 als öffentlicher Befürworter in Erscheinung. Nachdem zwischenzeitlich die Verhandlungen ins Stocken geraten waren und besonders Finanzminister Wolfgang Schäuble auf Bundesebene Widerstand leistete, waren es die Bundesländer Niedersachsen und Bayern, die entscheidend Einfluss auf die dort ansässige Autobranche ausüben konnten. So erklärten sich BMW und Audi als erste Hersteller dazu bereit, sich an den Finanzierungskosten der Subvention zu beteiligen. Diese Kostenbeteiligung war ausschlaggebend für die Zustimmung von Wolfgang Schäuble, der bis zum Verhandlungsende ein Gegner der Pläne gewesen war.
Zwischenfazit zum Beschluss des Umweltbonus 2016
Erstmals wurde mit der Kaufprämie ein Policy-Instrument verabschiedet, das unmittelbar auf den Markthochlauf einwirkte, was einen fundamentalen Wandel in der bis dato verfolgten Förderpolitik darstellte. Gleichzeitig zeigt dies, dass der Fokus auf einer Antriebswende, nicht auf einer Mobilitätswende lag, da der PKW das favorisierte Fortbewegungsmittel von Politik und Industrie blieb. Insgesamt war das Agenda-Setting geprägt von industriepolitischen Argumenten. Die Krise der deutschen Autobranche, die neuen CO₂-Grenzwerte und das Scheitern des geplanten Markthochlaufs von E-Autos waren die zentralen Gründe, die zur Einführung des Umweltbonus führten. Im Aushandlungsprozess spielten klima- und umweltpolitische Aspekte, auf die später als Begründung verwiesen wurde, keine nennenswerte Rolle. Mit der Kaufsubvention sollten nicht primär hohe CO₂-Emissionen reduziert werden, sondern den deutschen Automobilherstellern aus der Krise geholfen werden.
Die Innovationsprämie 2020 – Umweltbonus hoch 2?
Nach Einführung des Umweltbonus war der nächste bedeutsame Förderbeschluss die Einführung der „Innovationsprämie“ am 4. Juni 2020 im Rahmen des Corona-Konjunkturprogramms.
Auch hier lohnt sich zunächst ein Blick auf die zentralen Probleme:
- Klimaschutzthemen waren im Gegensatz zu 2016 stärker in den Fokus der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung gerückt, was u. a. maßgeblich auf die Fridays-for-Future-Bewegung zurückzuführen ist.
- Für die Automobilbranche waren erneut die CO₂-Grenzwerte relevant: Betrugen diese 2016 noch 130 g/CO₂ pro Kilometer, erfolgte ab 2021 eine Verschärfung auf 95 g/CO₂.
Zusätzlich resultierten aus der Covid-19 Pandemie wirtschaftliche Einbrüche durch den verhängten Lockdown. Der Absatz sank aufgrund von Werksschließungen und der ruhenden Produktion. So wurden im März 2020 37,7 Prozent weniger Neuzulassungen verzeichnet als im März des Vorjahres.
- Wie 2016 bildeten auf politischer Seite die angestrebten Zielsetzungen erneut ein Problem: Nach dem das Eine-Million-Ziel auf 2022 verschoben worden war, ließ der Bestand von 238.662 E-Autos zu Beginn des Jahres 2020 vermuten, dass auch diese Zielsetzung scheitern würde. Für das Jahr 2030 wurden sogar 7 bis 10 Millionen E-PKW angestrebt.
Im Vergleich zu 2016 gab es im Bereich der technologischen Entwicklung Fortschritte: So wurde 2018 mit dem Nexo Modell des Herstellers Hyundai ein FCEV in Serienreife entwickelt, dem im November 2020 der Toyota Mirai II folgte. Als erster Automobilhersteller kündigte Porsche 2020 an, die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen selbst voranzutreiben. Somit gab es technologisch echte Alternativen zur Elektromobilität.
Die Corona-Pandemie bildete analog zu 2016 das ausschlaggebende focusing Event und das passende Gelegenheitsfenster, um die Kaufsubvention unter dem Titel „Innovationsprämie“ als Bestandteil des Corona-Konjunkturprogramms zu erhöhen. Dadurch wurde ein Kaufzuschuss von bis zu 9000 Euro möglich. Das Konjunkturprogramm bot die optimale Gelegenheit, die E-Mobilität als Zukunftstechnologie zu fördern, da das Konjunkturprogramm explizit an die Bedingung des Klima- und Umweltschutzes geknüpft war und so besonders Zukunftstechnologien adressierte. Wieder unterstützte das gewählte Instrument wie 2016 den Markthochlauf der E-Autos und damit die von Produktions- und Wirtschaftsausfällen besonders getroffene Automobilbranche. Entscheidend ist aber, dass 2020 nicht den Wünschen der Automobilindustrie entsprochen wurde, da diese eine Kaufprämie für herkömmliche Verbrenner forderte, um so die Absatzeinbußen der Pandemie abzufangen. Die Hauptkonfliktlinie verlief 2020 zwischen den Forderungen nach einer Kaufprämie für alternative Antriebe vs. einer Berücksichtigung von konventionellen Verbrennern.
Zu den Befürwortern einer Kaufprämie für Verbrenner-Neuwagen zählten die Automobilindustrie, Teile der CDU/CSU-Fraktion und die Landesregierungen der Bundesländer mit eigener Automobilproduktion. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident in Baden-Württemberg, und SPD-Ministerpräsident Stephan Weil (Niedersachen) unterstützten die Vorschläge einer allgemeinen Kaufprämie, um die Wirtschaft zu unterstützen und die Automobilindustrie zu entlasten. Dass gerade der Grünen-Politiker Kretschmann diese Pläne unterstützte, verdeutlicht die wirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie in den Bundesländern. Wie 2016 war die Haltung der drei Landesregierungen geprägt von den Interessen der Autokonzerne vor Ort.
Im Gegensatz dazu lehnten die SPD-Fraktion, Umweltverbände und der Sachverständigenrat die Subventionierung von Verbrennern ab und befürworteten eine weitere Subvention von E-Autos. Vor allem das Bundesumweltministerium betrachtete die Corona-Krise als Gelegenheit zur weiteren Förderung klimafreundlicher Technologien. Bereits im April 2020 hatte SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze sich dafür ausgesprochen, mögliche Konjunkturhilfen am Klimaschutz auszurichten und Hilfen für die Autobranche an ökologische Auflagen zu knüpfen.
Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl 2021 betonte die SPD die klimapolitischen Bezüge der Wirtschaftshilfen und nutzte die Gelegenheit, um ihr umwelt- und klimapolitisches Profil zu schärfen. Wie schon 2016 hatte die SPD eine klare Agendaposition. Im Gegensatz zu den Verhandlungen 2016, in denen das Umweltministerium kaum eine Rolle spielte, trat Schulze diesmal früh als Agenda Setter in Erscheinung, indem sie mögliche Rahmenbedingungen für Wirtschaftshilfen formulierte und die Innovationsprämie als konkretes Instrument ins Gespräch brachte.
Der große Unterschied im Agenda-Setting-Prozess 2020 lag darin, dass im Gegensatz zu 2016 tatsächlich Klimaschutzaspekte eine Rolle spielten. Die Ausrichtung der Wirtschaftshilfen am Klimaschutz bildete die elementare Basis im gesamten Konjunkturpaket. Trotz der machtvollen Position der Automobilindustrie und deren Unterstützung durch die jeweiligen Landesregierungen konnte diese im Gegensatz zu 2016 ihre Forderungen nach einer Absatzförderung für Verbrenner nicht durchsetzen. Ihr Einfluss auf das Agenda-Setting war somit deutlich geringer als vier Jahre zuvor. Ähnlich wie 2016 waren aber Umwelt- und Energieverbände am Agenda-Setting erneut nicht beteiligt.
Der Pfad der Elektromobilität wurde mit den Beschlüssen zur Innovationsprämie weiter verfestigt. Gleichzeitig konnte mit diesem Instrument die Bundesregierung weiter hoffen, ihr Ziel von 1 Mio. E-Autos bis 2022 zu erreichen. Auch lag 2020 der Fokus erneut auf einer Antriebswende, nicht auf einer Verkehrs- bzw. Mobilitätswende, die die Ausweitung des ÖPNV und Mobilitätskonzepte umfasst, obwohl die Corona-Krise auch hierfür ein geeignetes Gelegenheitsfenster gewesen wäre.
Förderung der Elektromobilität im Individualverkehr aus Sicht des Klimaschutzes
Wie sinnvoll sind E-Autos aus Sicht des Klimaschutzes? Der Beitrag von E-Autos und allen strombasierten Antrieben hängt unmittelbar von dem zugrundeliegenden Strommix ab, mit dem diese geladen werden. Eine Umstellung des MIVs auf E-Autos ist nur dann umweltpolitisch sinnvoll, wenn diese mit Strom aus Erneuerbaren Energien (EE) geladen werden können. Allerdings ist deren Anteil in Deutschland noch nicht in dem Maß ausgebaut, wie es angesichts der umfassenden Förderung von E-PKWs sein müsste, um insgesamt den Anteil fossiler Energien deutlich reduzieren zu können – insbesondere, da mit einem Markthochlauf von E-Autos auch der Strombedarf steigt. Deshalb wäre es vor einer massiven E-Autoförderung notwendig und geboten gewesen, zunächst den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen und so eine Dekarbonisierung des Strommix zu erzielen. Zusätzlich wäre es effizient, langfristig auch den Verkehrssektor in das EU-ETS System zu integrieren.
Besonders kritisch zu bewerten ist die Förderung von PHEVs, da diese, wenn sie nicht überwiegend elektrisch gefahren werden, mehr CO2 ausstoßen als moderne Diesel- oder Benzinautos. Die Subvention von PHEVs hätte unbedingt an eine tatsächliche elektrische Nutzung gekoppelt sein müssen. Angesichts der Tatsache, dass PHEVs seit 2016 mit Einführung des Umweltbonus massiv gefördert werden, kommt das Ende ihrer Förderung 2022 aus Klimaschutzsicht deutlich zu spät, da auch über 2022 hinaus nicht sichergestellt ist, dass die bereits zugelassenen PHEVs überhaupt elektrisch gefahren werden. Denkbar wäre hier ein Sanktionssystem, wenn ein PHEV zu weniger als 80 Prozent elektrisch genutzt wird.
Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden: Ohne die Energiewende ist die Förderung von E-Autos lediglich ein industriepolitisches Instrument und kein Beitrag zum Klimaschutz.
Zusammenführung der Ergebnisse: Das Agenda-Setting der deutschen Elektromobilitätspolitik
Wie nachgewiesen wurde, war die deutsche Elektromobilitätspolitik und das Agenda Setting von einem deutlichen Politikwandel gekennzeichnet, der nicht allein mit klimapolitischen Kontextfaktoren oder technologischen Gründen erklärbar ist.
Nachdem bis 2016 die Förderpolitik aus persuasiven Instrumenten und Steuererleichterungen bestanden hatte, bildete der Umweltbonus einen markanten Policy-Wandel, da mit der direkten Kaufsubvention unmittelbar in den Markt eingegriffen wurde. Ausgehend vom Diesel-Skandal als focusing event wurde das Agenda-Setting von industriepolitischen Bestrebungen bestimmt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass 2016 die Automobilindustrie ein einflussreicher Akteur war und sich mit ihren Forderungen auch gegenüber der Bundesregierung durchsetzen konnte. Der Beschluss zum Umweltbonus fiel nicht aus klimapolitischen Aspekten heraus, sondern primär, um die heimische Autoindustrie zu unterstützen, die durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren in die Krise geraten war. Die reine Absatzförderung von PHEVs ohne Bedingungen an die tatsächliche elektrische Nutzung zeigt, dass Klimaschutz nicht der Hauptgrund der Förderung war. Dies wurde auch später in der Innovationsprämie nicht korrigiert, als Klima- und Umweltschutz stärker im Problembewusstsein verankert waren. Obwohl schon früh Umweltverbände den Beitrag von PHEVs für den Klimaschutz als kritisch einschätzten, wurde erst unter der aktuell regierenden Ampel-Koalition eine stärkere Ausrichtung der Subventionen am Klimaschutz beschlossen.
Während in Asien konkrete Ziele für den Einsatz von Wasserstoff im Mobilitätsbereich existieren, fokussiert sich Deutschland auf den batterieelektrischen Antrieb. Es existieren zwar Förderprogramme im Bereich Wasserstoff, aber dessen Einsatz wird eher für andere Sektoren und weniger für den Verkehrsbereich angestrebt. Hier droht der deutschen Automobilindustrie erneut der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung, da kein technologieoffener Ansatz verfolgt wird. Eine parallele Etablierung von Brennstoffzellenfahrzeugen wird seitens der Politik aktuell nicht forciert. Diese fehlende staatliche Unterstützung macht es möglichen Entwicklungsfortschritten schwer, sich durchzusetzen.
Über die Autorin: Frau Veronika Ellen Wittig studierte an der Universität Trier Politikwissenschaften und Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt auf Technologiepolitik und Alternative Antriebsarten im Verkehrssektor. Im November 2022 beendete sie ihr Studium mit dem Master of Arts und arbeitet seit Mai 2023 für einen rheinland-pfälzischen Landtagsabgeordneten.