Auf der Welt-Atom-Messe ist Deutschland das Negativbeispiel

Auf der Welt-Atom-Messe ist Deutschland das Negativbeispiel

World Nuclear Exhibition

Auf der großen Atom-Messe erntet Deutschland nur noch Hohn und Spott


Heute, 03.12.2023 | 15:18

Aktuell demonstiert die World Nuclear Exhibition in Villepinte bei Paris mit mehr als 700 Ausstellern aus 76 Nationen die Vitalität der Kernenergiebranche. Auch Deutschland steht im Rampenlicht – allerdings als Negativbeispiel.

Die Kernenergiebranche lebt: Im französischen Villepinte, am nördlichen Stadtrand von Paris, fand vom 28. bis 30. November die World Nuclear Exhibition (WNE) statt. Mehr als 700 Aussteller aus 76 Nationen empfingen 20.000 Teilnehmer und rund 1000 Entscheidungsträger. Wie der „ Spiegel “ berichtet, präsentierten sich auf der Messe vor allem mittelständische Anbieter – 29 davon aus Deutschland.

Dem Bericht zufolge ist Deutschland in den Messehallen der WNE in aller Munde. Allerdings nicht als Vorzeigeland, sondern eher als vermeintliches Negativbeispiel. Die Dynamik, die der Kernenergie in den vergangenen Jahren neuen Schwung verliehen hat, ist an Deutschland vorbeigegangen.

Hierzulande hat Olaf Scholz (SPD) erst Anfang September noch einmal deutlich gemacht, welche Zukunft dieser einst so wichtige Energieträger hier hat: „Die Kernkraft ist zu Ende. Sie wird in Deutschland nicht mehr eingesetzt“, sagte der Kanzler im Deutschlandfunk-Interview. „Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd.“

Atomenergie gehört in Deutschland der Geschichte an

Die Entwicklung der Laufzeiten der letzten Kernkraftwerke in Deutschland steht in engem Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011. Unmittelbar nach diesem Ereignis wurden alle deutschen Kernkraftwerke, die bis einschließlich 1980 in Betrieb gegangen waren, abgeschaltet. Dies betraf die Anlagen Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1, Neckarwestheim 1, Unterweser und Philippsburg 1, während das Kernkraftwerk Krümmel zu diesem Zeitpunkt bereits außer Betrieb war.

Ein weiterer Einschnitt erfolgte am 31. Dezember 2021 mit der Abschaltung der Kernkraftwerke Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf. Schließlich wurden am 15. April 2023 die drei letzten Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 abgeschaltet. Ursprünglich sollte ihr Betrieb am 31. Dezember 2022 enden, doch die Energiekrise erlaubte einen befristeten Streckbetrieb bis zum 15. April 2023, bei dem keine neuen Brennelemente eingesetzt werden durften.

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Deutschland auf der WNE belächelt

Auf der WNE ist Deutschland nach der Abschaltung der letzten drei Reaktoren im vergangenen Frühjahr dennoch allgegenwärtig, berichtet der „Spiegel“ weiter. Zum einen als Projektionsfläche für die gesamte Branche. Und zum anderen als Zielscheibe ihres Spotts.

In seiner Eröffnungsrede auf der WNE lästerte der französische EU-Kommissar Thierry Breton über Deutschland. Ihm seien SMR-Meiler (Small Modular Reactors), also Mini-Atomkraftwerke, die derzeit der letzte Schrei in der Branche sind, viel lieber als Kohlekraftwerke, vor allem wenn der Ostwind weht, stichelte er in Richtung Ampel-Regierung und meinte damit den deutschen Strommix aus Kohle und erneuerbaren Energien.

 

Weltweit wird die Entwicklung kleiner Kernkraftwerkstypen vorangetrieben, die zum Teil auf Konzepten aus den 1950er Jahren basieren, schreibt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Diese Projekte werden größtenteils staatlich finanziert, wobei die USA und Kanada führend sind.

Die Mini-AKWs könnten neben der regulären Stromversorgung auch für dezentrale Energieversorgung, Fernwärme, Meerwasserentsalzung und in militärischen Anwendungen genutzt werden. Es wäre jedoch eine um ein Vielfaches höhere Anzahl an SMR-Anlagen im Vergleich zu heutigen Atomkraftwerken erforderlich, um dieselbe elektrische Leistung zu erzeugen – möglicherweise tausende bis zehntausende Anlagen statt der aktuellen rund 400 Großreaktoren, so das BASE.

Auch China, Südkorea und Argentinien sind mit Pilotprojekten aktiv. In Europa unterstützen Frankreich, Großbritannien und Belgien die Entwicklung. Frankreich etwa will eine Milliarde Euro investieren, Großbritannien rund 250 Millionen Euro und Belgien 100 Millionen Euro. Sowohl Frankreich als auch Großbritannien wollen dabei auf Nukleartechnologien aufbauen, die ursprünglich für militärische Zwecke wie den Antrieb von U-Booten und Flugzeugträgern entwickelt wurden. Darüber hinaus würden Länder ohne traditionelle Nuklearkompetenz wie Saudi-Arabien und Jordanien wachsendes Interesse an SMR zeigen.

Zuletzt musste die Technologie jedoch immer wieder Rückschläge einstecken. Das womöglich prominenteste SMR-Projekt wurde in den USA gerade eben erst gestoppt – aus Kostengründen. Ohnehin hat es die Branche schwer, private Investoren zu finden, ein Großteil der Gelder kommt aus staatlicher Hand. Denn auch wenn die Atombranche derzeit eine kleine Renaissance erlebt – mit den nahezu exponentiellen Wachstumsraten vor allem im Solarbereich kann die Nukleartechnik nicht mithalten. Zumal bei Atom-Projekten regelmäßig die Kosten explodieren: Im französischen Flamanville sollte ursprünglich ein Reaktor für 3,3 Milliarden Euro gebaut werden – mittlerweile liegen die Kosten bei 19 Milliarden Euro. 

Frankreich ist Vorreiter bei der Kernenergie

Dennoch herrscht auf der WNE Unverständnis über den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie, da gerade die deutsche Industrie mit stark gestiegenen Energiepreisen zu kämpfen habe. Der Grundtenor auf der WNE: Atomkraft sei keine Risikotechnologie, sondern ein Zukunftsversprechen.

Ohnehin würden sich viele Akteure der CO₂-armen Nuklearindustrie mindestens so sehr als Klimaschützer verstehen wie die Windstromproduzenten und Solarunternehmen. Die Optimisten unter ihnen sehen noch viel Potenzial nach oben. Denn: Elektroautos, Rechenzentren und Wasserstoffproduktion wollen versorgt werden. Zu den Optimisten gehört wohl auch Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). „Es gibt zurzeit etwa 400 Reaktoren auf der Welt. Wir bräuchten das Doppelte oder mehr”, sagte er dem „Spiegel“. In Europa vollziehe sich gerade ein echter Umschwung. “Ein Land nach dem anderen überdenkt seine energiepolitischen Entscheidungen“, so Grossi, der augenzwinkernd anfügte: „Außer eines.“

Frankreich nehme bei der Renaissance der Atomkraft eine Vorreiterrolle ein. Mit 56 Reaktoren, die rund zwei Drittel des nationalen Strombedarfs decken, verstärkt die Regierung von Präsident Macron ihre Anstrengungen im Bereich der Kernenergie. Sie plant den Bau von mindestens sechs neuen Reaktoren. Allem Ärger zum Trotz: Erst im letzten Winter fiel die Hälfte der französischen Atom-Flotte aus, wegen verschiedener Defekte und nötiger Wartungsarbeiten. Ersatz-Stromimporte mussten einen weitflächigen Blackout verhinderten, sie kamen aus: Deutschland.

tsa

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