Meinung Bob Hanning
Die Menschen in Deutschland sind des Fußballs ein Stück weit überdrüssig
Stand: 22:00 Uhr
Quelle: pa/dpa/Bernd Thissen
So bunt wie seine Pullover sind, so stark ist seine Meinung: Bob Hanning nimmt die deutsche Handball-Nationalmannschaft vor der WM in die Pflicht. Die Chance für die gesamte Sportart ist nach dem desaströsen Auftreten der Fußballer bei der WM gigantisch.
Eines vorweg: Ich will hier keinen künstlichen Druck aufbauen. ABER: Die Chance, die sich der deutschen Mannschaft bei der bevorstehenden WM bietet, ist riesig. Für den deutschen Handball. Und für den gesamten deutschen Sport, abseits des Fußballs.
Nach dem in vielfacher Hinsicht desolaten Auftritt des DFB-Teams in Katar kann der Handball beim Turnier in Polen und Schweden viele neue Anhänger gewinnen und – fast noch wichtiger – verloren gegangenes Renommee für den deutschen Sport zurückerobern. Auf dem Feld, aber vor allem auch abseits davon.
Die Menschen in Deutschland sind des Fußballs, das zeigten nicht zuletzt die abgestürzten TV-Quoten, ein Stück weit überdrüssig. Sie lechzen nach authentischen und nahbaren Profisportlern, die ohne Effekthascherei die große Bühne bei ARD und ZDF entern.
Bekannt für seine bunten Pullover und seine Meinungsstärke – Bob Hanning
Quelle: pa/nordphoto GmbH/Engler
Kein Zögern. Kein Zaudern. Immer Vollgas, das muss die Devise für die Mannschaft von Alfred Gislason in den kommenden zweieinhalb Wochen sein. Handballer, das muss ungeachtet des sportlichen Abschneiden deutlich werden, sind kernige Typen. Ohne Maulkorb. Und mit unbändiger Gier nach neuen Erfolgen.
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Das Image des Profisports ist durch die vielen Schlagzeilen von Raffgier und Geltungssucht der Verbandsbosse rund um die Wüsten-WM ramponiert. Der deutsche Schlingerkurs in der Armbindenfrage, mit dem sich der wankelmütige DFB arg verhoben hat, weil es ihm offenbar immer auch um PR und Marketing ging, wirken nach. Auch international.
Vom miserablen sportlichen Abschneiden ganz zu schweigen. Deutschland hat in der (Sport-) Welt viel an Ansehen verloren. Waren wir früher für die Mentalität und Fokussierung unserer Nationalmannschaften gefürchtet, werden wir jetzt hier und da nur noch belächelt und bemitleidet.
Erreichen des Viertelfinales ist Pflicht
Und genau hier nehme ich Kapitän Johannes Golla und seine Mitspieler in die Pflicht. Seid echt! Seid nahbar! Seid mutig! Seid meinungsstark! Vergesst dabei aber bitte auch den sportlichen Erfolg nicht.
Die deutsche Mannschaft gehört bei der WM sicher nicht zu den Favoriten. Nein. Mannschaften wie Titelverteiger Dänemark und Olympiasieger Frankreich, Europameister Schweden und auch die Spanier sind in der Theorie stärker einzuschätzen. Doch gleich dahinter kommen wir. Mindestens.
Kapitän Johannes Golla (l) soll Deutschland mindestens ins WM-Viertelfinale führen
Quelle: dpa/Axel Heimken
Ich finde es absolut verständlich, wenn die Verbandsspitze auf eine konkrete Zielsetzung mit Blick auf den Reifeprozess der Mannschaft verzichtet. Doch, ganz ehrlich: Fehlende internationale Erfahrung hin oder her, das Erreichen des Viertelfinales ist Pflicht. Alles andere wäre eine Katastrophe. Eines dürfen wir nämlich nicht vergessen: Den genannten Topteams gehen wir dank einer günstigen Auslosung bis zur K.o.-Runde aus dem Weg.
Handball kann den Fußball in den Schatten stellen
Deutschland, egal in welcher Besetzung, muss im Handball immer den Anspruch haben, nach den Sternen zu greifen. Und was mit Teamgeist, Unbekümmertheit und Begeisterung alles möglich ist, habe ich 2016 selbst miterlebt. Mit einer Mannschaft der Namenlosen haben wir uns seinerzeit bei der EM in einen Rausch gespielt und die Herzen der Fans im Sturm erobert. Das Märchen endete bekanntlich mit dem Titelgewinn. Kurz darauf folgte Olympia-Bronze. Leider blieben das bis heute die letzten deutschen Medaille bei Handball-Großereignissen.
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Soweit will ich jetzt noch gar nicht denken. Doch von einem Übergangsturnier kann und darf ein Jahr vor der Heim-EM keinesfalls die Rede sein. Dem Handball bietet sich die große Chance, den Fußball in den kommenden Wochen in den Schatten zu stellen und eine neue Euphorie zu entfachen.
Bob Hanning ist seit 2005 Manager und Geschäftsführer von Tabellenführer Füchse Berlin. Von 2013 bis 2021 war der ehemalige Co-Trainer der Nationalmannschaft Vizepräsident des Deutschen Handballbunds. Nebenbei arbeitete er im Fernsehen bei Länderspielen als Co-Kommentator und veröffentlichte eine Autobiografie („Hanning. Macht. Handball.“). Dazu trainiert der handballverrückte Hanninng seit Jahren die A-Jugend der Füchse.