Tübingen. Der Optimismus ist groß – und anscheinend von keinem Zweifel erschüttert.
Hunderten Probanden hat Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Universitätsklinik Tübingen, zusammen mit seinen Kollegen in den vergangenen Monaten den Impfstoffkandidaten des heimischen Unternehmens Curevac gespritzt. Was er beobachtet hat, überzeuge ihn, versichert er. Bei der Verträglichkeit und der Sicherheit sei er „sehr zuversichtlich“, erklärt er, dass „CVnCoV“, so der Markenname des Impfstoffs, alle Hoffnung erfüllt. Und auch für die Wirksamkeit rechne er mit Daten, die denen anderer mRNA-Impfstoffe ähneln.
Diese anderen Impfstoffe sind die Präparate von Pfizer/Biontech und Moderna, die beide Wirksamkeiten von über 90 Prozent erreichen.
„Es schaut gut aus“, sagt der Österreicher Kremsner am Telefon. „Demnächst“, wahrscheinlich noch im Mai, sollte die entscheidende Phase-III-Studie abgeschlossen sein. Dann wäre auch für „CVnCoV“ der Weg zur Zulassung frei.
Der überrundete Möchtegernfavorit
Endlich, könnte man sagen. Es wäre das glückliche Ende eines Rennens, in dem das Tübinger Unternehmen vor dem Start vor allem als großspuriger Möchtegernfavorit auffiel, dann schmachvoll überrundet wurde – und jetzt doch noch einen Ehrenplatz auf dem Treppchen erreichen könnte.
Dabei hatte kein anderes Unternehmen beim Start des Wettlaufs um einen Corona-Impfstoff für auch nur annähernd so viel Aufsehen gesorgt wie die Tübinger. „Germany is not for sale!“, Deutschland stehe nicht zum Verkauf: Mit diesem markigen Diktum reagierte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im März vergangenen Jahres auf das Gerücht, US-Präsident Donald Trump wolle Curevac in die USA holen. Später beteiligte sich die Bundesregierung über die KfW mit 300 Millionen Euro, auch um größeren Einfluss auf das Unternehmen zu haben, das damals noch wie ein aussichtsreicher Kandidat aussah, im Rennen um den ersten Impfstoff vorn mit dabei zu sein.
Biontech, der heutige Vorreiter und Börsenstar, war damals noch nicht mehr als eine weitere defizitäre Biotech-Bude aus Mainz. Curevac aber hatte den Milliardär und SAP-Gründer Dietmar Hopp als Investor im Rücken – und profitierte obendrein von einer 405-Millionen-Dosen-Großbestellung der Europäischen Union. Bei keinem anderen Unternehmen orderte die EU so üppig. Auch in Brüssel glaubte man fest an den Erfolg.
In der heißen Phase erkrankt der Chef schwer
Doch früh gehörten auch Rückschläge zur Geschichte des Tübinger Unternehmens. Im März vergangenen Jahres rückte Curevac-Mitgründer Ingmar Hoerr an die Spitze des Unternehmens. Hoerr hatte die mRNA-Technologie, auf der die erfolgreichsten Impfstoffe jetzt beruhen, als junger Biologe mitentwickelt. Jetzt löste er den Vorstandsvorsitzenden Daniel Menichella ab, nach dessen Treffen mit dem US-Präsidenten die Gerüchte um einen Umzug in die USA – die Curevac später dementierte – aufgekommen waren. Nach wenigen Tagen in seinem neuen Amt erlitt Hoerr jedoch eine Hirnblutung und fiel ins Koma. „Meine Überlebenschancen lagen anfangs bei 20 Prozent“, sagte er erst vor Kurzem der „Zeit“. „Ich musste alles wieder erlernen: Gehen, Treppensteigen, Sprechen.“ Bis heute bereite ihm sein Gedächtnis noch Probleme.
Deutlich später als die Konkurrenten Biontech und Moderna startete Curevac dann in die entscheidende Phase-III-Studie. Zuletzt beklagte der heutige Vorstandsvorsitzende Franz-Werner Haas im „Spiegel“ massive Probleme bei der Impfstoffproduktion, ausgelöst durch einen Ausfuhrstopp für entscheidende Produkte in den USA: „Wir bekommen längst nicht immer die Materialien, die wir brauchen.“
Corona-Vakzine: The Next Generation
Doch es sieht so aus, als müsse die Langsamkeit am Ende doch kein Nachteil sein. Haas jedenfalls weist den Vorwurf, spät dran zu sein, weit von sich: „Das sind wir nicht“, beteuert er – und verweist auf den gewaltigen Bedarf, den die Welt auf absehbare Zeit weiter haben wird.
Tatsächlich hat Curevac zumindest nach eigener Darstellung nicht gebummelt. So habe das Unternehmen die Zeit im vergangenen Frühjahr zum Beispiel dafür genutzt, unter den infrage kommenden Kandidaten den aussichtsreichsten besonders gründlich auszuwählen. „CVnCoV“ ist drei Monate lang bei normaler Kühlschranktemperatur lagerbar – ein Vorteil gegenüber dem Präparat von Biontech/Pfizer, bei dem dies nur für einen Monat gilt. Außerdem wurde die Phase-III-Studie an mehr als 35.000 Probanden gleich um die Wirksamkeit gegen neue Mutanten erweitert.
Zudem hat Curevac bereits einen Nachfolger entwickelt, „CV2CoV“, der sich gerade in ersten Versuchen an Tieren als sehr wirksam unter anderem gegen die in Südafrika entdeckte Variante B.1.351 erwiesen hat – was den Aktienkurs deutlich in die Höhe schnellen ließ. Laut RKI liegen zwar derzeit nur wenige Daten zu dieser in Deutschland selten vorkommenden Mutante vor, doch lassen diese auf eine „zumindest reduzierte Effektivität“ der zugelassenen Impfungen schließen.
300 Millionen Dosen in diesem Jahr
Die aktuellen Lieferprobleme von Rohstoffen und Geräten aus den USA werde die Produktionsmengen in diesem Jahr jedenfalls nicht schmälern, prophezeit Curevac. Das Unternehmen kooperiert inzwischen mit zahlreichen anderen Pharmagrößen, darunter Bayer, Glaxo Smith Kline (GSK) und Wacker. GSK hat sich auch das Recht erkauft, die Curevac-Vakzine außerhalb des deutschsprachigen Raums weltweit zu vermarkten. „Daher bekräftigen wir unsere Produktionsprognose von 300 Millionen Dosen unseres Impfstoffkandidaten CVnCoV im Jahr 2021“, erklärt eine Unternehmenssprecherin.
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Die Bundesregierung rechnet mit 24,5 Millionen Curevac-Dosen noch für dieses Jahr. Damit sie möglichst schnell verfügbar sind, fordern mehrere Politiker, unter ihnen der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, eine Notfallzulassung für den Curevac-Impfstoff. Auch ohne sie dürfte es aber nicht mehr lange dauern: Das Unternehmen rechnet mit einer regulären Zulassung noch im zweiten Quartal, also bis Ende Juni.
Manchmal, mit etwas Glück, sind die Letzten zwar nicht die Ersten, aber dennoch sehr ersehnt und ziemlich hilfreich.