Braucht es da noch den Heizungs-Hammer?
Das deutsche Wärmepumpen-Wunder verblüfft sogar Experten
Gestern, 16.05.2023 | 16:21
Waffen und Autoteile: Der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall ist vielleicht das deutscheste Unternehmen, das es gibt. Am 28. Dezember jedoch verkündete der Hersteller den größten Deal, den er jemals außerhalb seiner beiden klassischen Konzernsparten an Land ziehen konnte: Für 770 Millionen Euro werde Rheinmetall einen nicht näher genannten Kunden mit sogenannten Kältemittelverdichtern beliefern. Der Konzern setze seine „Diversifizierungsstrategie“ damit erfolgreich um, hieß es
in einer begleitenden Mitteilung
.
Wachsen über Technologien
Der Deal wurde in der Wirtschaftspresse damals kaum beachtet, was zum einen an den Feiertagen gelegen haben dürfte, zum anderen an der Tatsache, dass Panzer für die Ukraine ein wesentlich spannenderes Betätigungsfeld des Konzerns sind als Kältemittelverdichter. Am Donnerstag letzter Woche wurde jedoch bekannt, in welchem Produkt die Verdichter zum Einsatz kommen sollen: Wärmepumpen. Genauer gesagt: Wärmepumpen für deutsche Wohnungen und Häuser.
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„Ein führender deutscher Heizungshersteller“ soll diese zentrale Komponente für die Wärmepumpe im Großauftrag geordert haben,
berichtete das „Handelsblatt“
am Donnerstag. Industriekreisen zufolge soll es sich um das Unternehmen Viessmann handeln. Wer bei Rheinmetall nach mehr Details fragt, erhält nur ein allgemeines Statement, dass es einen großen Erfolg darstelle, sich „Geschäftsfelder im Bereich der alternativen Energieversorgung zu erschließen“. Es sei wichtig, „über vielversprechende Technologien zu wachsen“.
Megafabriken für die „Volkswärmepumpe“
Das Wachstumspotenzial der Wärmepumpen-Technologie in Deutschland haben längst auch schon andere erkannt. In Mittel- und Osteuropa ziehen Hersteller wie Viessmann, Vaillant, Bosch oder Daikin mehrere Wärmepumpen-Megafabriken hoch, die teilweise schon ab 2024 die Produktion aufnehmen sollen. Mitsubishi Electronics erweitert gerade nochmals sein Riesenwerk in der Türkei, Ziel: Die Fertigung von 300.000 Wärmepumpen pro Jahr für den europäischen Markt.
Beobachter erwarten eine brutale Schlacht um das lukrative Absatzgebiet. Viessmann flüchtete sich zuletzt mit seiner Wärmepumpen-Sparte unter das Dach des großen US-Konzerns Carrier, um seine Produktionsmengen ebenfalls nach oben schrauben zu können. Auch weitere, bislang eher branchenfremde Akteure steigen in den Markt ein – wie etwa der deutsche Solar-Marktführer Enpal, der jetzt zusammen mit Bosch eine „Volkswärmepumpe“ anbieten wird. „Enpal zeigt praktisch, wie die Bundesregierung ihre Klimaziele erreichen kann“, hieß es in einer Mitteilung vom Donnerstag. „Die Wärmepumpe lohnt sich, ist technisch machbar, und man kann sie schnell skalieren.“
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Plötzlich in Reichweite
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Wärmepumpe in Deutschland schon längst zur „Volkswärmepumpe“ geworden ist. Nach Angaben des Bundesverbands der deutschen Heizungsindustrie (BDH) und des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP) sind alleine im ersten Quartal dieses Jahres insgesamt 91.500 Heizungswärmepumpen verbaut worden, hinzu kommen 16.500 Wärmepumpen fürs Warmwasser. Im Vorjahresquartal waren es nur 43.500 Heizungswärmepumpen – ein Plus von 110 Prozent. Alleine seit 2019 hat sich der Absatz von Wärmepumpen in Deutschland knapp verdreifacht.
Ein ambitioniertes Ziel, das Wirtschaftsminister Robert Habeck im letzten Juni ausgegeben hatte, liegt damit plötzlich wieder in Reichweite: Der Zubau von 500.000 Wärmepumpen pro Jahr ab 2024. Die 500.000er-Marke „wird erreicht werden können“, verkündete der BWP zuletzt selbstbewusst. Denn zusätzlich beginnen zwei große Flaschenhälse, die den Ausbau zuletzt gebremst hatten, langsam zu verschwinden: Mit der Steigerung der Produktionskapazitäten sinken einerseits die Preise und die Lieferzeiten.
Und auch im Handwerk bessert sich andererseits die Lage, zumindest langsam. Der Fachkräftemangel macht der Branche zwar weiterhin zu schaffen, aber das Know-How nimmt zu. „Immer mehr Betriebe nehmen Qualifikationsangebote wahr und spezialisieren sich auf die Installation von Wärmepumpen“, heißt es von Seiten des BWP. Handwerksbetriebe, die einfach stur Gasheizungen eingebaut haben, weil sie sich mit der neuen Technik nicht auseinandersetzen wollten, werden immer weniger.
Die Wende ist längst da
Die Prognosen aus der Vergangenheit werden regelmäßig von der Realität übertroffen. Selbst der BWP war in seiner eigenen Branchenstudie vom Januar 2021 von niedrigeren Zahlen ausgegangen, als sie dann in der Wirklichkeit zu beobachten waren. „Die Absatzzahlen und Marktentwicklungen liegen am oberen Rand innerhalb meiner Erwartungen“, sagt auch Nils Thamling, Experte für Gebäude und Wärmeversorgung beim Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos, zu FOCUS online Earth.
Die Entwicklung des Wärmepumpen-Marktes zeigt zweierlei. Erstens: Wer jetzt, im Frühjahr 2023, noch einen Kulturkampf für die Gasheizung und gegen die Wärmepumpe führen will, steht auf verlorenem Posten. In der Branche regt sich schon lange Unmut darüber, wie die aktuelle politische und mediale Debatte um die Wärmewende mehr zur Verunsicherung beiträgt als zur Aufklärung. Und zweitens: Die Kräfte des Marktes wirken jetzt schon stärker, als viele Marktteilnehmer selbst gedacht hätten. Die Wärmepumpen-Wende ist längst da.
„Da gibt es keinen Spielraum mehr“
Das rückt auch die Rolle der Politik in ein neues Licht. Die hat sich gesetzlich verpflichtet, den Gebäudesektor bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu machen, also binnen der nächsten 22 Jahre. Aber braucht es überhaupt noch ordnungsrechtliche Detailregelungen wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) aus dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck, das genau vorschreiben will, wann welche Heizungen nicht mehr verbaut werden dürfen und welche Anforderungen zu erfüllen sind? Hat sich der Markt nicht bereits jetzt als effizienter erwiesen? Zumal ab dem Jahr 2027 der Europäische Emissionshandel greifen wird, der das Heizen mit Gas und Öl nach verschiedenen Schätzungen ungefähr doppelt so teuer machen wird? Oder anders formuliert: Ist der „Heiz-Hammer“ überhaupt noch das richtige Werkzeug?
So einfach ist es leider nicht, sagt Thamling. Für das Wirtschaftsministerium hat der Gebäude-Experte eine der maßgeblichen Hintergrund-Studien zur Wärmewende bis 2045 erstellt – kaum jemand weiß so gut wie er, was auf dem Weg zur Klimaneutralität zu tun ist. „Die Emissionen des Gebäudebestandes sind in den vergangenen Jahren deutlich langsamer zurückgegangen als notwendig“, erklärt Thamling. „Da gibt es – aus rein technischer Sicht – mittlerweile leider keinen nennenswerten Spielraum mehr.“
Verschwendete Zeit
Das grundsätzliche Problem ist, dass 22 Jahre im Gebäudesektor eine verflixt kurze Zeit sind. Eine durchschnittliche Gasheizung etwa hält ungefähr 20 Jahre – wenn es Deutschland also ernst meint mit der Klimaneutralität ab 2045, darf es spätestens übernächstes Jahr kein einziges neues fossiles Gerät mehr verbauen. Schafft das wirklich der Markt alleine?
Thamling geht nicht davon aus – dafür hat Deutschland in der Vergangenheit einfach zu wenig getan. Es müsse konstatiert werden, „dass es die vorherigen Bundesregierungen nicht geschafft haben, die notwendige Entwicklung auf den Weg zu bringen“, sagt der Experte. „Vor zehn oder fünfzehn Jahren wären die Maßnahmen hierfür noch vergleichsweise moderat gewesen.“ Doch je knapper die Zeit wird, desto drastischer müssen die ergriffenen Maßnahmen ausfallen – das ist das einfache Prinzip. „Beispielsweise wäre Zeit für einen langlaufenden Einstieg in die CO2-Bepreisung gewesen und wir hätten heute bereits ein Niveau mit Lenkungswirkung erreicht, wie beispielsweise in der Schweiz oder Schweden“, erklärt Thamling.
Statt also selektiv in den Instrumentenkasten zu greifen und einzelne Maßnahmen herauszupicken, müssen schlicht alle Instrumente zum Einsatz kommen, wenn es mit der Wärmewende bis 2045 noch klappen soll. Das heißt: Der Markt ist enorm wichtig, schafft es aber nicht alleine. Neben großen ordnungsrechtlichen Eingriffen wie dem Gebäudeenergiegesetz seien aber auch noch andere Maßnahmen relevant, erklärt Thamling – darunter eine „massive Förderung“ der teuren Umbaumaßnahmen.
„Das ist absolut irreführend“
Ganz besonders wichtig sei aber auch noch etwas anderes, so der Prognos-Experte: Umfassende Informationsarbeit und Aufklärung. Es gebe derzeit ein Umfeld, „in dem den Menschen suggeriert wird, dass die Nutzung strombasierter erneuerbarer Brennstoffe wie Wasserstoff eine kurzfristig breit verfügbare und kostengünstige Optionen wäre und man mit einen H2-Ready-Heizkessel auf der sicheren Seite wäre – das ist absolut irreführend“, kritisiert Thamling. „Es gibt keine soliden wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dafür sprechen, dass H2 diese Rolle einnehmen könnte.“
Tatsächlich ging der Wärmepumpen-Boom der letzten Monate auch mit einem Boom bei Gas- und Ölheizungen einher. Nach Angaben des Heizungsverbands hat sich zum Beispiel der Absatz bei Ölheizungen im Vergleich zum Vorjahresquartal verdoppelt. Viele Hausbesitzerinnen und -besitzer bauen sich jetzt noch schnell einen neuen fossilen Heizkessel ein, um vermeintliche Ruhe zu haben – oftmals ohne zu wissen, was der Europäische Emissionshandel ab 2027 für sie bedeutet.
Der Staat müsse die Menschen hier informieren und mitnehmen, fordert der Experte, statt sie alleinzulassen. „Das führt meines Erachtens dazu, dass man viele Menschen ins offene Messer laufen ließe“, sagt Thamling. „Klimaschutzziele sind so nicht erreichbar.“