Ein giftiger Cocktail brodelt rund um die deutsche Autoindustrie

Ein giftiger Cocktail brodelt rund um die deutsche Autoindustrie

Die Automobilindustrie ist die Schlüsselindustrie der Bundesrepublik. Mit der Erfindung des Automobils durch Carl Benz im Jahr 1886 erlebte die deutsche Volkswirtschaft ihren Urknall. Durch den Aufbau einer weltweiten Infrastruktur von Autofabriken, Zulieferbetrieben, Ausbildungsstätten, Ingenieurstudiengängen und Händlern entstand der harte Wohlstandskern, um den herum sich andere Märkte bilden konnten. Fakt ist:

  • Ohne die Automobilindustrie wäre Deutschland niemals zu den führenden Industrienationen der Welt aufgestiegen.
  • Den Automobilarbeitern und ihrer Gewerkschaft, der IG Metall, verdankt das Land seinen hoch bezahlten und sozial abgesicherten Arbeitsmarkt, der auf viele andere Jobs abstrahlt.
  • Diese beiden Sachverhalte, ökonomischer Wohlstand und soziale Sicherheit, bilden wiederum das Fundament unserer Demokratie, auf dem sich politische Stabilität etabliert und bis heute gehalten hat.

 

Oder in einem Satz gesagt: Fällt die Autoindustrie, fällt Deutschland. Zumindest das Deutschland, wie wir es bisher kannten.

Fünf Entwicklungen am deutschen Automarkt

Daher sind das Ende des Verbrennermotors und der Beginn der beschleunigten Elektrifizierung im Verkehrswesen der zentrale Vorgang unserer Zeit. Kommt es hier zu einer Fehlsteuerung, sei es durch den Staat oder durch die Vorstände der verantwortlichen Firmen, erodiert der Wohlstandskern und das Land wird seine innere Balance nicht halten können.

Fünf Entwicklungen, die in ihrer Dramatik nicht unterschätzt werden dürfen, ereignen sich zeitgleich. Jede für sich bedeutet eine Herausforderung. In ihrer Kombination bilden sie einen toxischen Cocktail für unser Land:

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1. Die deutschen Automanager von VW bis Mercedes haben den Beginn des Elektrozeitalters verschlafen.

VW-Chef Martin Winterkorn glaubte, dass das Elektroauto ein Nischenprodukt sein werde, mit dem sich ein Volumenhersteller nicht ernsthaft befassen müsste: „Unsere Autos fahren und brennen nicht“, spottete er, als die experimentierfreudigen Tesla-Entwickler einen Unfall produzierten.

Die Folge: Als bei VW das erste reinrassige Elektroauto vom Band lief, hatte Tesla bereits eine knappe Million E-Autos verkauft. Erst der Nach-Nachfolger von Winterkorn, Herbert Diess, setzte 15 Jahre nach der Gründung von Tesla eine neue Priorität. Alles begann mit der grausamen Erkenntnis: „Was uns fehlt, das sind vor allem Schnelligkeit und der Mut zu kraftvollem, wenn es sein muss radikalem Umsteuern.“

Mit Winterkorn im Irrtum vereint war der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche. Er rettete 2009 Tesla mit 50 Millionen Dollar vor der Pleite, weil er von den Amerikanern lernen wollte. Das reichte damals, um 9,1 Prozent an Tesla zu übernehmen. Einen Teil der Anteile gab Daimler bereits wenige Monate nach dem Einstieg an den Staatsfonds von Abu Dhabi ab.

Fünf Jahre später hatte Dieter Zetsche ausgelernt und glaubte, dass Tesla seinen Zenit bereits überschritten habe. Also verkaufte er die verbleibenden Tesla-Aktien – vier Prozent des Unternehmens – für 780 Millionen Dollar. In Stuttgart knallten damals die Korken.

Doch was für eine Fehleinschätzung: Tesla startet erst danach so richtig durch. Der 9,1 Prozent-Anteil an Tesla von Daimler wäre heute mehr Wert als der gesamte schwäbische Konzern. Dieter Zetsche ließ in seiner Amtszeit kein einziges Elektroauto vom Band rollen.

2. Die deutschen Autofirmen haben sich von China technologisch abhängen lassen.

Die Könige des Verbrennerzeitalters sind die Bettler der Elektromobilität. So lässt sich der Abstieg der deutschen Autoindustrie in China zusammenfassen. Nahezu unbemerkt von den Heerscharen deutscher Autoingenieure in China hat das Politbüro der KP eine eigene E-Offensive gestartet und die dazugehörigen Werke aufbauen lassen.

Was vor 20 Jahren zur Gründung von BYD Auto geführt hat, begründet die heutige Marktführerschaft im größten Automobilmarkt der Welt. Bei den Elektroautos verkaufte BYD allein in den ersten fünf Monaten 2023 dreimal mehr Fahrzeuge in China als alle westlichen Marken zusammen. Damit hat sich der Markt komplett gedreht. VW wurde vom Marktführer zum Nischenanbieter degradiert. Der Elektro-Marktanteil von Volkswagen liegt gerade einmal bei 2,3 Prozent.

3. Die Infrastruktur für die Elektrifizierung des Verkehrs in Deutschland fehlt.

93 Prozent aller in Deutschland gefahrenen Kilometer, egal ob mit der Bahn, mit dem LKW oder dem Automobil, werden mit fossiler Energie zurückgelegt. Seit 15 Jahren kommt die Elektromobilität im Verkehrswesen nicht voran. Die Politiker haben geredet und nicht gehandelt.

Die deutsche Regierung will bis 2030 eine Million öffentliche Ladepunkte, derzeit gibt es laut Bundesnetzagentur erst 90.305. Es fehlen also noch 909.695 Ladepunkte. Um dieses Ziel annähernd zu erreichen, müssten also für die nächsten sieben Jahre jeden Tag 356 Ladesäulen gebaut werden.

Der Ladeinfrastrukturausbau kommt auch deswegen nur schleppend voran, weil lange Genehmigungsverfahren, langsamer Netzanschluss und die Lieferzeiten für Trafostationen die Betreiber ausbremsen. So kann Deutschland diesen wichtigen Leitmarkt nicht entwickeln.

4. Deutschland besitzt nicht die Rohstoffe für das Elektrozeitalter.

Im Zeitalter der Verbrennertechnologie besaß und beherrschte die deutsche Autoindustrie alle Stufen der Wertschöpfung. Von der Stahlproduktion im Ruhrgebiet über die weitverzweigte Zuliefererindustrie in Baden-Württemberg und im Münsterland bis hin zum Lackiermaschinenhersteller Dürr hatte sich ein Ökosystem entwickelt, das autonom funktionierte.

Im Elektrozeitalter wird auch diese Wertschöpfungskette in Teilen entwertet und neue Lieferketten sind erforderlich. Deutschland verfügt bislang über keine Batterieproduktion, die den Bedarf decken könnte.

Am knappsten aber ist die Versorgung der heimischen Autoindustrie mit Seltenen Erden, die man für teures Geld in China und Afrika einkaufen muss. Vor allem China beherrscht den Markt wie keine andere Nation: Zwei Drittel oder umgerechnet 5.300 Tonnen dieser Rohstoffe im Wert von 49,3 Millionen Euro hat Deutschland alleine 2022 aus China importiert.

5. Die deutsche Autoindustrie hat den Rückhalt der Wall Street verloren.

Das Misstrauen in die deutsche Automobilindustrie und ihre Manager ist groß. Trotz vieler Optimierungserfolge, sowohl bei der Technologie als auch bei den Kosten, glaubt man nicht an einen zweiten Frühling der hiesigen Autoindustrie. Die Börsenbewertungen erzählen die ganze Geschichte.

Tesla ist heute mehr als dreimal so viel wert wie die drei größten deutschen Autobauer VW, Mercedes und BMW zusammen. Auch BYD und Toyota schaffen Börsennotierungen, von denen man in Wolfsburg nur träumen kann. Volkswagen hat in den vergangenen zehn Jahren 27 Prozent seines Wertes verloren.

Arroganz der deutschen Autohersteller

Fazit: Das Alphabet des automobilen Abstiegs in Deutschland beginnt mit A – A wie Arroganz. Winterkorn, Zetsche und andere hielten Elon Musk und sein Team für eine Vorgruppe, die die Stimmung für die deutschen Stars anheizt. Die deutschen Automanager dachten, der Markt der Elektromobilität beginnt dann, wenn sie mit ihren E-Modellen auf die Bühne rollen.

Theodor Fontane kannte nicht die deutschen Automanager, aber er kannte das Phänomen einer allzu innigen Selbstliebe: „Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht.“