Ist das der Masterplan für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Ist das der Masterplan für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Deutsche Wirtschaft Ökonom Südekum plädiert für eine offensive Investitionspolitik

Ist das der Masterplan für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Ökonom Jens Südekum auf dem Vermögensaufbau-Gipfel von Capital

© Felix Schmitt

12.10.2023, 13:22 Uhr 4 Min.

Ökonom Jens Südekum plädiert beim Capital-Vermögensaufbaugipfel für Ausnahmen von Schuldenbremse – und verbreitet Zuversicht: Der Industriestandort Deutschland sei zu retten

Ist Deutschland als Industriestandort noch zu retten? Der Ökonom Jens Südekum beantwortet die Frage mit einem Ja: Er hält den Standort durchaus für zukunftsfähig, um Wachstum und Wohlstand von morgen zu sichern. Die Voraussetzungen dafür skizzierte er in einem Masterplan beim Vermögensaufbau-Gipfel von Capital in Frankfurt.

Insbesondere plädierte der Professor für internationale Ökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für eine offensive Wirtschaftspolitik, die zugunsten besserer internationaler Wettbewerbsbedingungen sowohl überbrückend Strompreise subventioniert als auch geopolitisch in Zukunftstechnologien und in eine strategische Autonomie gegenüber China investiert. Das sei in Zeiten multipler Krisen „der Preis der Resilienz“.

„Wir sind in einer entscheidenden Phase, wo sich die Technologien der Zukunft ansiedeln“, sagte Südekum mit Blick auf die massiven Subventionen in den USA. Was solle sonst der Unique Selling Point Deutschlands sein? Dafür müssten Staat und Unternehmen „ordentlich Geld in die Hand nehmen“ und investieren. Nach aktuellen Schätzungen seien 100 Mrd. Euro pro Jahr zusätzliche Investitionen durch die öffentliche Hand bis 2030 nötig.

Viele Investitionen hätte man mit einer gewissen strategischer Vorausschau schon seirt 2010 tätigen müssen, räumte Südekum ein. Mit der Zinswende sei das nun schwieriger geworden. Aber: „Wir brauchen eine realistische Finanzpolitik“ – weg von der angezogenen Handbremse und hin zu Ausnahmen von der Schuldenbremse der Bundesregierung für zweckgebundene Investitionen.

Hohe Abhängigkeit von China

Obwohl Deutschland und Europa stärker auf offensive Strategien angewiesen wären, um sich gegen geoökonomische Risiken insbesondere aus China zu rüsten, tun sie sich schwer damit, so die Analyse des Ökonomen. Anders die USA, wo nach aktuellen Schätzungen die Förderprogramme in Form von Steuergutschriften für die heimische Industrie inzwischen 1,4 Billionen Dollar erreichten. Die Fabrikneubauten gingen durch die Decke. So werde der Standort wie kein anderer die Produktion von Wasserstoff, künftige Technologiesprünge und auch Profite anziehen. Allein eine Rückkehr zu einer Regierung unter Donald Trump könnte diese grüne Investitionspolitik wieder kassieren. 

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Zugleich will Südekum dem Diskurs vom Niedergang der deutschen Industrie und Deutschland als krankem Mann Europas nicht durchgängig folgen. Mit offensiven Strategien seien die notwendige Diversifizierung von Bezugs- und Absatzmärkten, stärkeres „Friendshoring“ als Alternative zu chinesischen Partnern sowie eine höhere heimische Produktion von strategischen Produkten wie Halbleitern oder Arzneimitteln zu schaffen. „Deutschland ist auf Platz eins bei der Abhängigkeit von China. Unsere Abhängigkeiten in Europa und Deutschland sind größer als in den USA.“

Erst vor wenigen Tagen hat der Internationale Währungsfonds (IWF) die Wachstumsprognosen Deutschlands für 2023 von minus 0,3 noch einmal auf minus 0,5 Prozent korrigiert. Deutschland ist das Schlusslicht unter allen entwickelten Volkswirtschaften, konstatierte auch Südekum beim Capital-Event. Doch habe beispielsweise Spanien mit einem Wachstum von 2,5 Prozent nicht den Energiepreisschock erlebt, der hierzulande nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zu verkraften gewesen sei.

Keine Anzeichen für eine Deindustrialisierung

Daher sieht Südekum die Zahlen nicht als Vorboten eines langfristigen Abstiegs: „Eine Deindustrialisierung ist bislang noch nicht zu sehen.“ Ein Abwärtstrend wie bei der Rezession der Industrieproduktion von 2017 bis 2019 sei nicht sichtbar. Stückmäßig produziere die Industrie zwar weniger, aber mit dem Fokus auf höherwertige Prozesse werde mit weniger Stückzahlen mehr Geld verdient. Eine Ausnahme musste der Ökonom allerdings bei den besonders energieintensiven Zweigen – Chemie, Metalle, Glas, Keramik und Papier – machen: Der seit dem Krieg erlittene Rückgang sei wohl nicht zu revidieren.

Ein Kaskadeneffekt auf andere Branchen wie Stahl oder die Autobauer sei gleichwohl abzuwenden. „Fällt ein Dominostein nach dem anderen um? Das Szenario steht im Raum.“ Hier hänge viel von der Lösung der strukturellen Probleme ab – allen voran den Energiepreisen. Doch seien die im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren (18 Cent je Kilowattstunde) im Jahresverlauf 2023 wieder auf unter 26 Cent pro Kilowattstunde im dritten Quartal gesunken. „Real ist das nicht so weit weg von den 18 Cent, die es vorher gab.“ Gelungene staatliche Wirtschaftspolitik, innovatives marktwirtschaftliches Handeln zugunsten schneller Alternativen für russisches Gas und sparsame Haushalte hätten erfolgreich ineinandergriffen.

Wer heute über hohe Energiepreise jammere, der tue das also im Vergleich zu anderen Standorten, die nicht so stark von den Schocks der Krisen getroffen wurden, und definitiv Wettbewerbsvorteile ausspielen könnten, so Südekum. Wohl sei bis 2045 ein Absinken der Energiepreise – kombiniert aus erneuerbaren Quellen und Gas bzw. Wasserstoff als Backup – zu erwarten. Die schlechte Nachricht sei dabei jedoch: Wer heute langfristige Investitionsentscheidungen treffe, die auf Endpreise in zehn bis 30 Jahren blicken, dem werden andere Standorte, darunter die USA, bessere Angebote machen können.

Plädoyer für einen Industriestrompreis

„So werden ganz energieintensive Zweite kaum in Deutschland zu halten sein“, so Südekum. Aber weder für (grünen) Stahl noch für technologie- und humankapitalintensive Zweige seien die Kosten zu hoch, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Diese Stärken können den Standort Deutschland mittelfristig sichern.“ Dass dafür ein schnellstmöglicher Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netzinfrastruktur nötig sei, sei inzwischen ein „Nobrainer“ und in der Regierung angekommen.

Um dennoch Abwanderungen von Unternehmen vorzubeugen, empfiehlt der Ökonom „tendenziell“ einen Brückenstrompreis bis 2030 für Produktionszweige wie Halbleiter, Stahl oder die Kfz-Branche. „Wir brauchen einen Industriestrompreis als Haltelinie.“ Wohl seien 6 oder 5 Cent zu hoch. Und der bisherige Widerstand des Kanzlers hänge wohl allein an der ungeklärten Finanzierungsfrage – die jedoch, so Südekum, über den Wirtschaftstabilisierungsfonds zu lösen sei. Es gehe darum, die Förderung kurzfristig anzubieten, denn bis 2030 werde ein Brückenpreis „sich selbst wieder abschaffen“.

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Somit bleibe für einen erfolgreichen Wachstumsplan das „schwierigste Problem von allen“: der Fachkräftemangel. Hier beobachtet Südekum die aktuelle Stimmung gegenüber einer erforderlichen Zuwanderung mit Sorge: „Ich habe die Befürchtung, dass wir gerade diejenigen verteufeln und nach Hause schicken wollen, die wir in einem Jahr als Fachkräfte holen wollen.“ Doch komme Deutschland um Zuwanderung nicht herum. Neben einer Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, Weiterbildungen und steigender Automatisierung brauche das Land 1,5 Millionen Zuwanderer brutto pro Jahr, um netto 400.000 Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben.

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