Wasserstoffzüge: Siemens und Alstom arbeiten an der Technologie

Wasserstoffzüge: Siemens und Alstom arbeiten an der Technologie

 

Die Eisenbahntechnik steht vor dem nächsten Umbruch. Einst waren es Dampflokomotiven mit Tenderwagen für die Kohle als Energieträger. Dann folgten Elektroantriebe für Strecken mit Oberleitungen oder Dieselmotoren für Abschnitte, auf denen es keinen Strom gibt. Aktuell kristallisiert sich wieder ein Technologiesprung heraus: der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Zugantrieb.

„Es wird viel über den Klimawandel geredet“, sagt der bei Siemens Mobility für Züge und Loks verantwortliche Manager Albrecht Neumann. „Jetzt wird eine Technologie entwickelt, die wird die Welt positiv verändern“, ist er überzeugt.

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Wasserstoff als Antriebsenergie würde damit einen weiteren Verkehrsträger erobern. Bei Autos fahren seit Jahren einige Modelle mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb. Gut 90 Tankstellen für H2, also Wasserstoff, gibt es allein in Deutschland.

Aus dem Auspuff kommt statt Abgasen lediglich Wasserdampf. Bei Schiffen gibt es ähnliche Projekte, und bei Flugzeugen treibt Airbus die Idee vom Öko-Flieger voran. 2035 soll ein Modell einsatzbereit sein.

Vorboten des Wandels

Mit Wasserstoffzügen wird es nicht so lange dauern. Einige fahren bereits im regelmäßigen Betrieb, etwa in Deutschland und Österreich. Inzwischen gibt es immer mehr Weichenstellungen für die neue klimafreundliche Ära.

Die Belege sind vielfältig und reichen rund um den Globus. Damit wird auch der Abschied von Tausenden Dieselloks eingeleitet, die auf Strecken ohne Stromoberleitungen unterwegs sind.

So kaufte der große US-Dieselmotorenhersteller Cummins 2019 den Wassersstoffspezialisten Hydrogenics, um nur ein Beispiel zu nennen. Kanada hat eine eigene Wasserstoffzugstrategie veröffentlicht. Es sind die Vorboten des Wandels.

Alstom ist international führend

Bahnhöfe könnten künftig auch Wasserstofftankstellen werden. Große Zugantriebsloks fahren eines Tages statt wie früher mit einem Kohletender mit einem Wasserstofftankanhänger, heißt es bei Experten. Regional- und Nahverkehrszüge mit Wasserstoffantrieb gibt es bereits.

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Wasserstoffzüge: Siemens und Alstom arbeiten an der Technologie

In Europa arbeiten die führenden Eisenbahntechnikanbieter, der Alstom-Konzern sowie Siemens Mobility, an der Technologie. Die Franzosen gelten als international führend und dürften einen deutlichen zeitlichen Entwicklungsvorsprung haben. Sie können bereits auf Praxiseinsätze ihres in Salzgitter gebauten Modells iLint verweisen, der in Deutschland und Österreich fährt und für den Großaufträge vorliegen.

Soeben haben französische Regionen den Auftrag für eine weitere Zugplattform erteilt, die 2025 in Betrieb gehen soll. Sie kann sogar wahlweise mit Wasserstoff- oder Elektroantrieb durch die Oberleitung fahren. Der Zug aus vier Waggons für bis zu 218 Passagiere hätte bis zu 600 Kilometer Reichweite ohne Oberleitung.

So schnell tanken wie beim Diesel

Siemens Mobility hat im Gegensatz zu Alstom noch keinen Prototyp im täglichen Einsatz, will allerdings in einem großen Schritt aufholen. Das Unternehmen sieht sich führend bei der Entwicklung der zweiten Generation der Wasserstoffzüge.

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Alternativer Energieträger

Derzeit ist der neue Zug im Bau und soll in einem Jahr in den Testbetrieb gehen. „Unser Dreiteiler wird eine Reichweite von 1000 Kilometern schaffen und die nächste Generation von Wasserstoffzügen einleiten. Man kann ihn heute schon kaufen, und er wird international einsetzbar sein. Lieferzeit ist etwa zwei, zweieinhalb Jahre“, wirbt Siemens-Manager Neumann.

Im November 2020 verkündeten Siemens und die Deutsche Bahn, dass ab Ende 2023 ein Wasserstoffregionalzug (Mireo Plus H) im Raum Tübingen im Passagierbetrieb fahren wird. Seine Höchstgeschwindigkeit liegt bei 160 km/h, die Beschleunigung ist mit bisherigen Zügen vergleichbar. Der „grüne Wasserstoff“, hergestellt aus Ökostrom, soll so schnell getankt werden können wie Diesel. Bei einem Dieselzug dauert das 15 Minuten.

Konzerne arbeiten mit dem Batteriekniff

Siemens Mobility positioniert sich dabei im Markt als Komplettanbieter, weil über den nun eigenständigen Energiekonzern Siemens Energy auch die Wasserstoffgewinnung samt Infrastruktur abgedeckt werden kann.

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The tunnel portal, photograph on the opening Day of the Ceneri Base Tunnel, on Friday, 4 September 2020, in Camorino, Switzerland. The Ceneri Base Tunnel will be officially opened on 4 September 2020 after twelve years of construction. The tunnel is composed of two single-track tunnels, each 15.4 kilometers long. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

In technischer Hinsicht arbeiten Alstom und Siemens bei ihren Wasserstoffzügen mit einem Kniff. Der Wasserstoff wird zwar in einer Brennstoffzelle zu Strom. Der wird aber nicht direkt zum Antrieb genutzt, sondern lädt erst eine Batterie als Zwischenspeicher. Der Antrieb erfolgt aus dem Batteriestrom.

Die Erklärung ist simpel: Noch sind die heutigen Brennstoffzellen zu träge und liefern nicht genügend Energie für eine Beschleunigung wie beim Strom aus der Oberleitung. Über den Batteriekniff sind Wasserstoffzüge jedoch bildlich gesprochen keine Züge im Schneckentempo.

Wasserstoff-Tanks auf dem Zugdach

Siemens Mobility-Experte Neumann erwartet weitere Fortschritte bei den umweltfreundlichen Zügen. Die Technik sei noch lange nicht ausgereizt und der Markt sehr groß. Allein in Europa sei die Elektrifizierung des Schienennetzes sehr unterschiedlich.

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Derzeit wird bei den Wasserstoffzugkonzepten von Alstom und Siemens der Wasserstoff gasförmig in hochdruckfesten Tanks im Dach der Züge transportiert. Das sei sehr sicher, beteuert Neumann. Trotzdem laufen bei Siemens erste Versuche, Wasserstoff in Flüssigkeiten zu binden (Liquid Organic Hydrogen Carrier), was den Umgang erleichtern würde. Zudem werden Weiterentwicklungen bei Brennstoffzellen und Batterien erwartet.

Der Siemens-Manager wagt daher noch keine Prognose, ob sich langfristig womöglich auch eine Nur-Batterie-Lösung für Züge oder doch die Kombination Wasserstoff-Brennstoffzellen-Batterie durchsetzen wird. „Daher entwickeln wir beides“, sagt er. Alstom und Siemens Mobility kaufen dabei Schlüsselbausteine wie die Brennstoffzelle oder Batterien zu. Siemens ist derzeit dabei, sich neben dem kanadischen Brennstoffzellenlieferanten Ballard eine zweite Lieferquelle zu sichern.

Potenzielles Einsatzgebiet in den USA

Persönlich geht Neumann davon aus, dass Züge im stadtnahen Umfeld, also etwa S-Bahnen, mit Batteriestromquelle zum Einsatz kommen. Baden-Württemberg hat bei Siemens Mobility bereits 20 batteriebetriebene Züge vom Typ Mireo Plus B bestellt, die Mitte 2023 ausgeliefert werden.

Auf längeren Strecken habe dagegen der Wasserstoffantrieb Vorteile. In einem Punkt ist Neumann sicher: „Die Zeit, wo Züge mit alten Dieselloks in Bahnhöfe im Stadtgebiet einfahren, geht zu Ende.“ Es sei Bürgern nicht zu vermitteln, dass teilweise 30 Jahre alte Loks weiter fahren dürfen. Allein in Deutschland gebe es noch rund 3000 Dieseltriebwagen.

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Aber es geht nicht nur um Deutschland. In den USA sind große Eisenbahnstrecken nicht elektrifiziert – da ergibt sich ein potenzielles Einsatzgebiet für Wasserstoffzüge, etwa im Frachtbereich. Der zum Baumaschinenkonzern Caterpillar gehörende Anbieter Progress Rail hat bereits eine erste Versuchslok vorgestellt. Brancheninsider gehen auch davon aus, dass der chinesische Eisenbahnriese CRRC am Wasserstoffzug arbeitet.

Für Siemens-Mobility-Manager Neumann könnte das Umweltbewusstsein der Europäer dazu führen, dass hier schrittweise eine Abschaffung der Dieselloks gefordert wird – was auf Strecken ohne Oberleitung dem Wasserstoffzug Schub verleihen würde. Zumindest auf Nebenstrecken, denn die Hochgeschwindigkeitsrouten sind praktisch überall elektrifiziert und damit klimaneutral.

Siemens hat schon seit eineinhalb Jahren keine reinen Diesellokomotiven mehr im Programm. Nur noch Loks, die entweder komplett auf Strom setzen oder wahlweise Strom/Diesel. Noch sei die komplexe Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebslösung teurer als die Oberleitungs- oder Diesellösung, räumt Neumann ein. Aber das sei bei neuen Techniken häufig der Fall und müsse nicht so bleiben.